Vokü und Adorno
Und warum eins nicht ohne das andere zu haben ist.
Eine Replik auf Daniel Palm
„Hin und her und hin und her gerissen/
zwischen verstehen wollen und handeln müssen“
(Blumfeld)
Anlass
In dem Text „Linke Leipziger Zustände“ aus dem CeeIeh #208[1] wurde uns und anderen, nicht genauer genannten, Leipziger Gruppen vorgeworfen die „Idee einer im Kapitalismus herrschenden Totalität von Tauschwert“ (Zitat CeeIeh Text) zu vertreten. Diese müsse letztlich zu einer Vorverurteilung aller Formen widerständiger Praxis als Teil des falschen Ganzen und zu einer Blockierung weiterer emanzipativer Erfahrungen führen. Diese Erfahrungen, in denen Herrschaftsformen durchbrochen und alternative Möglichkeiten der Vergesellschaftung vorstellbar werden, seien jedoch, so der Autor, in einem weiteren Schritt gerade der Ausgangspunkt für eine Überwindung der bestehenden Verhältnisse. Erworben würden sie durch die Politisierung des eigenen Lebens; d.h. eine spezifische „richtige Praxis“, die darauf ziele, „jene Werte und Umgangsformen, um welche es ganz subjektiv geht, jeden Tag konsequent aufs Neue vorzuleben und ohne Herrschaftsanspruch weitergeben zu suchen.“ Konkret geht es dabei um anzueignende Räume, insbesondere Hausprojekte, selbstverwaltete Strukturen etc., in denen die Konturen einer besseren Gesellschaft entworfen und umgesetzt werden können. Bis dahin gibt es in diesem Text wenig, dem wir widersprechen würden, außer eben, dass diese Kritik auf uns – und insbesondere auf den diskutierten Text „Aufruhr im Gemüsebeet“ – zuträfe. Denn in diesem Text ging es uns nicht darum, als kritische Kritiker eine unausweichliche und umfassende Verdinglichung zu behaupten, um davon ausgehend anderen Akteuren ihre notwendigen ideologischen Verblendungen nachzuweisen; vielmehr ging es gerade um das spezifische Problem, ob und wie eine konkrete Praxis, nämlich die Intervention in die Blockupy-Proteste in der Form, eine Erfahrung ermöglicht, in der wir nach unseren eigenen Grundsätzen kooperieren können.[2]
Uns stellt sich jedoch die Frage, ob das, was eine Politisierung des eigenen Lebens für uns heißen würde, mit den vorhin beschriebenen Praktiken schon zureichend erfasst ist und ob es tatsächlich möglich ist, ohne weiteres zu bestimmen, was eine „richtige Praxis“ kennzeichnet. In der Tat: „Was wären Linke eben ohne solche Räume, in denen schon praktiziert werden kann, was eine bessere Gesellschaft ausmacht?“ Sie sind der Ausdruck einer spezifischen Form der Selbstermächtigung, da in ihnen der Versuch unternommen wird, konkrete Herrschaftsformen zu überwinden und bestimmte Lebensbereiche nach eigenen Kriterien einzurichten. In diesem Sinne lassen sie sich als eine konkrete Form widerständiger Praxis verstehen. Wer eine solche widerständige Praxis jedoch allein als konsequente und umfassende Umsetzung der eigenen „Werte und Umgangsformen“ in den eigenen Handlungszusammenhängen versteht, läuft gleichwohl Gefahr sich zeitlich zu überfordern, alle eigenen Handlungen unter Rechtfertigungszwänge zu stellen und sich in den alternativen Biotopen einzurichten, in denen diese Überzeugungen allgemein geteilt werden. Darüber hinaus sind solche alternativen Räume ungewollt exklusiv, schließen sie doch beispielsweise Szenefremde, oder Menschen, die nicht genug zeitliche Kapazitäten haben, aus. Dies führt dann gerade nicht zu einer umfassenden Politisierung des eigenen Lebens, sondern zu einer erweiterten Form der Privatheit, in der maximal nichts falsch, aber auch nicht mehr als sie selbst richtig gemacht wird.
Im Gegensatz zu dieser privatisierten Form von Praxis, die allemal notwendig, aber keinesfalls hinreichend ist, möchten wir im Folgenden das Primat der gesellschaftlichen Praxis als erkenntnistheoretische Grundlage kritischer Theorie geltend machen. Kritische, widerständige oder revolutionäre praktische Erfahrung ist so als Dreh- und Angelpunkt kommunistischer Aktion und als Bedingung kritischer Reflexion überhaupt zu verstehen. Nicht zu Letzt soll damit auf den Vorwurf des Theoriechauvinismus oder Theorieidealismus – d. h. der Annahme, von einer kritischen Warte aus sich selbst nicht mehr als (widerständig-)tätiges Individuum zu begreifen, sondern quasi-objektiv die Verdinglichung der anderen zu konstatieren – eingegangen werde, der gegenüber unserer Gruppe geäußert wurde.[3] Continue reading →