Erfahrungen illegalisierter Hausarbeiterinnen in Berlin – Bericht über einen Austausch zwischen Respect Berlin, the future is unwritten und dem geladenen Publikum
Am 27. Mai 2016 haben wir als Gruppe the future is unwritten in Kooperation mit dem Lesekreis „Geschlecht und Arbeit“ der translib diverse Aktivistinnen der Berliner Gruppe Respect1 nach Leipzig eingeladen, um uns mit den anwesenden migrantischen Hausarbeiterinnen über Erfahrungen in ihren alltäglichen Auseinandersetzungen auszutauschen. Darüber hinaus sind viele weitere Frauen ohne legalen Aufenthaltsstatus im Bereich der Gastronomie beschäftigt. Die Veranstaltung konfrontierte uns als auch die anwesenden Teilnehmer*innen der Diskussion mit den prekären und mühsamen Lebens- sowie Arbeitsrealitäten der illegalisierten Arbeiterinnen, die zumeist mit der Aussichtslosigkeit hinsichtlich herkömmlicher Mittel von Arbeitskämpfen, wie etwa Streiks, um sowohl ökonomischen als auch politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Gerade aus diesen Gründen wollen wir einige Eckpunkte des abendlichen Gesprächs dokumentieren, damit ein Nachdenken über die Möglichkeiten von Widerstand gerade in solch prekären Verhältnissen angestoßen wird.
Erfreulich war für uns, dass Respect zahlreich zu unserer Veranstaltung erschienen ist. Mehrere deutsche als auch lateinamerikanische Frauen saßen auf dem Podium. Im Rahmen der von Respect organisierten Workshops beschränken sich die Teilnehmerinnen nicht auf diesen Herkunftsrahmen. Ein relevanter Faktor für das Durchführen einer solchen Veranstaltung ist die Einkalkulation von zusätzlicher Zeit für die notwendigen Übersetzungen ins Spanische, da illegalen Migrantinnen keinerlei Unterstützung zum Deutsch lernen seitens der Behörden geboten wird. Hieran wird nicht nur die hemmende Sprachbarriere deutlich, wenn man zur Darstellung und Diskussion der eigenen Situation eingeladen wird, sondern es ergeben sich hierin natürlich auch Probleme bei der Organisierung für die Durchsetzung von Arbeitsrechten und politischen Forderungen als Migrantinnen. In solchen Fällen braucht die Verständigung zusätzliche Zeit, die berücksichtigt werden muss.
Die politischen Forderungen von Respect orientiert sich an der gesellschaftlichen Missachtung von Frauen ohne legalen Aufenthaltsstatus im Bewusstsein der meisten Menschen in der Mehrheitsgesellschaft. Von daher wird unter anderem eingefordert, dass Hausarbeit als gesellschaftlich bedeutende Tätigkeit anerkannt und behandelt wird. Diejenigen, die diese Arbeit verrichten, sind wie im Fall von Respect oftmals illegalisierte Frauen, die ihre Rechte nicht einklagen können, ohne die Angst, dass dann die Abschiebung aus Deutschland zurück in ihre Herkunftsländer erfolgt. Unabhängig vom Aufenthaltsstatus soll allen Menschen der Zugang zur Einforderung von Rechten als auch zur adäquaten Gesundheitsversorgung und zu Bildung ermöglicht werden. Im Zusammenhang mit Bildung fordert Respect darüber hinaus, dass ausländische Bildungsabschlüsse anerkannt werden, damit Migrantinnen nicht zur Hausarbeit gedrängt werden, weil sonst kaum alternative Erwerbsmöglichkeiten bestehen.
Das Konzept unserer Veranstaltung bestand zunächst darin, die Aktivistinnen und ihre jeweiligen Erfahrungen aus verschiedenen Arbeitskämpfen im Carebereich zusammenzuführen. Wir wollten uns der perspektivischen Konsequenzen aus den jeweiligen Kämpfen vor Augen führen und herausstellen, welche Möglichkeit es für uns als radikale Linke und damit nicht direkt Betroffene auf diese Kämpfe überhaupt gibt. Nachdem weitere angefragte Gruppen für ein Podium absagen mussten, stellte es sich als günstig heraus, den Fokus alleinig auf den spezifischen Bereich migrantisch geprägter Hausarbeit zu legen, der – so wie sich später noch zeigen wird – oftmals aus strukturellen Gründen unter dem Radar linken Interventionismus liegt. Einige Eltern oder Großeltern stellen migrantische Hausarbeiterinnen als Reinigungskräfte, Köchinnen oder als Pflegepersonal bei sich ein. Darin besteht gerade der Zusammenhang zwischen dem Ende des klassisch fordistischen Familienmodells, in dem Pflege noch innerhalb des eigenen Familien- bzw. Verwandtenkreises meist unentgeltlich organisiert wurde, mit der sich verändernden Organisation von gesellschaftlicher Reproduktion und Pflege als Ganzes, wie beispielsweise die allgemeine Kommodifizierung des Carebereichs, sich entgrenzende Arbeitszeiten und der Anpassungsdruck an die Vorgaben seiner (informellen) Arbeitgeber zu fügen.
Die Gruppe entstand in den frühen 2000er Jahren im Kontext eines europaweiten Netzwerks entstanden, das sich für die Rechte illegaler Hausarbeiterinnen als auch ihre Organisierung einsetzte. Über die Jahre hinweg hat sich der Berliner Zusammenhang als festes Projekt etablieren können, sodass Respect inzwischen von mehreren Dutzend Frauen verkörpert wird, die sich in einer monatlichen Cocina2 zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch, Kennenlernen, Unterstützen und Essen treffen. Einen Großteil der Erfahrungen, die untereinander geteilt werden, beziehen sich auf dem Umgang mit der eigenen Illegalität, die bereits Schwarzfahren mit dem öffentlichen Nahverkehr zu einer realen Bedrohung werden lässt, da das Überführen beim Schwarzfahren in Konsequenz eine Abschiebung zur Folge haben kann. Da die Klandestinität einen Großteil ihres Lebens bestimmt, müssen die Arbeiterinnen Strategien und Verhaltensweisen entwickeln, die sie vor den Zugriff der staatlichen Behörden, wie vor allem der Polizei, schützen. Es ist de facto ein heimliches Leben im Untergrund der deutschen Mehrheitsgesellschaft, das stets darauf bedacht ist, gewisse Orte oder Zeiten zu meiden, an denen man Gefahr läuft kontrolliert zu werden. Allein schon die Wohnungssuche und das Bezahlen der Miete stellt sich derart schwierig dar, dass ein Austausch über nützliches Wissen allgemein notwendig werden lässt. Respect unterstützt bei der Wohnungs- oder Arztsuche, gibt Tipps und hilft Müttern und ihren Kindern auch bei Einschulungen. Die Gruppe ist dabei auf solidarische Anwälte, Ärzte und Lehrer angewiesen, die sich gegenüber den Arbeiterinnen und ihren Familien solidarisch zeigen. Des Weiteren finanziert sich die Gruppe fast ausschließlich über Spenden von Unterstützerinnen.
Aber auch Probleme auf Arbeit werden im Rahmen der Cocina thematisiert. Angesprochen wurden vor allem auch sexuelle Übergriffe seitens ihrer Ausbeuter; das Wissen um die Rechtlosigkeit der Frauen führt bei ihren Arbeitgebern oftmals zu Ausnutzung und Missbrauch der prekären Lebenssituation. In Vergewisserung der eigenen machtvollen Position wird nicht erwartet, dass sich rechtlose Migrantinnen gegen sexualisierte Gewalt wehren würden, sodass die Hemmschwelle zur Tat zu schreiten noch niedriger liegt als bei anderen Frauen. Die eigene Machtposition wird darüber hinaus auch benutzt, um den Lohn zu prellen oder aus fadenscheinigen Gründen einzubehalten, im Krankheitsfall nicht weiter zu zahlen oder um (unbezahlte) Überstunden einzufordern.
Die Gründe, um überhaupt nach Deutschland zu kommen, liegen für die Arbeiterinnen vor allem in der Möglichkeit Geld zu verdienen und Teile davon ihren Angehörigen zu überweisen. In den südamerikanischen Herkunftsstaaten hingegen gibt es für sie keine Lebensperspektive, ohne die nötigen Mittel für die Reproduktion ihrer Familien. Diese Arbeitsmigration erfolgt keinesfalls freiwillig; vielen fehlte vor ihrer Ankunft in Deutschland eine Grundkenntnis über die hiesige Gesellschaft. Wer hierher kommt, um vor allem eine Erwartung auf Bezahlung und Broterwerb hat, ist dem ökonomischen Zwang des Lohnerwerbs unvermittelt ausgeliefert. Dieses Klassenverhältnis zwischen migrantischer Arbeitskraft und mehrheitlich deutschem Arbeitgeber läuft klar zugunsten der Seite der Arbeitgeber hinsichtlich der Macht im Rahmen von Arbeitskonflikten.
Jeder dieser Frauen gehört ein individuelles Schicksal in Deutschland. Verständlich ist es da, dass nur wenige Arbeiterinnen über ihre eigene Biographie und die persönlichen Lebensumstände im Einzelfall preisgeben wollten, was wiederum mit ihrem illegalen Status in Verbindung steht. Daran stellt sich anschließend auch die Frage, inwiefern dies überhaupt nötig ist. Eine abstrakt gehaltene, allgemeine Schilderung der Lebens- und Arbeitsbedingungen anonymisiert persönliche Daten und schließt dennoch konkrete Fälle darin ein. Mehrmals wurde von ihrer Seite betont, dass sehr viel Vertrauen und Zeit notwendig ist, um sich anderen gegenüber zu öffnen. Im Rahmen unserer Formats einer Abendveranstaltung war klar, dass wir dies nicht wirklich gewährleisten könnten. (Fehlendes) Vertrauen ist darüber hinaus ein Thema unter den Arbeiterinnen selbst. Auch wenn es innerhalb der eigenen Community wenig unmittelbare Konkurrenz untereinander gibt, kann es dennoch sehr lange dauern, bis die einzelnen Arbeiterinnen ihre Erfahrungen preisgeben und dann in die Cocina kommen, wo sie sich organisieren können.
Neben der Organisierung eines Freiraums für die migrantischen Arbeiterinnen versucht Respect Berlin auch andere Wege der Unterstützung zu ermöglichen. So haben sie sich unter anderem daran beteiligt, den Arbeitskreis undokumentiertes Arbeiten bei ver.di aufzubauen. Der AK, aus dem Respect inzwischen wieder ausgeschieden ist, bietet eine Rechtsberatung an, da grundsätzlich auch illegalisierte Menschen ein einklagbares Recht auf die Einhaltung der Bedingungen in ihren Arbeitsverträgen besitzen. Dennoch ist es immer wieder schwer etwa Lohnrückstände auch nachweisen zu können, da in vielen Fällen keine Arbeitsverträge existieren oder etwa wenn es keinen Beweis über die geleistete Arbeitszeit, etwa durch Zeugen oder schriftliche Protokollierung, gibt. Das Problem eines juristischen Weges zur Einklage von Lohnrückständen o.ä. bedeutet de facto die Abschiebung aus Deutschland, da die betroffene Person zwangsläufig ihre illegale Existenz offenlegen muss. Es gibt dabei Fälle, in denen Arbeiterinnen die Abschiebung in Kauf nehmen, um somit zumindest noch ihren ausstehenden Lohn aus dem Gericht mitnehmen zu können. Darüber hinaus organisiert Respect diverse Workshops, die sowohl über Arbeitsrechte aufklären, aber auch zu spezifisch feministischen Themen, die auf großes Interesse stoßen.
In der politischen Arbeit kann eher selten auf politische Erfahrungen der migrantischen Aktivistinnen aus den Herkunftsländer zurückgreifen. Nur eine Aktivistin, die sich bereits mit linken Positionen in ihrem Leben beschäftigt hatte, berichtete, wie sie in ihrem Herkunftsland gegen die Erhöhung der Standgebühren für Kleinhändler*innen auf dem Markt erfolgreich protestiert hat. Allerdings ist dieser Kampf mit Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsrecht geführt worden, was ihn unter anderen Vorzeichen erscheinen lässt. In Berlin sind klassische Mittel wie Streiks für die Carearbeiterinnen kaum eine Option, da diese Gefahr laufen mit einer Kündigung zu enden oder mit anderen Worten schlichtweg die Verhandlungsmacht zu gering ist. Dies hängt auch mit dem Desinteresse der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften3 für die Interessen nicht-deutscher Arbeiterinnen zusammen. Sie zeigen kaum Interesse für diese Gruppe; beispielsweise verweigert der DGB illegalen Lohnarbeitenden eine Mitgliedschaft, was den Stand der Arbeiterinnen im Arbeitskampf aber auch in der Gesellschaft zusätzlich schwächt. Grundsätzlich ist die FAU Berlin hier der bessere gewerkschaftliche Partner, so unterhält das Berliner FAU-Syndikat eine Foreigner’s Section, in der sich sowohl Migranten sowie Menschen ohne Deutschkenntnisse organisieren können. Es gibt mit der syndikalistischen Gewerkschaft Kontakte, allerdings passten die Organisierungsformen4 nur schlecht zueinander, weswegen eine engere Zusammenarbeit nicht umgesetzt wurde.
Dennoch konnten im Rahmen des Abends Perspektiven aufgezeigt werden, die möglicherweise einen Hoffnungsschimmer hinsichtlich einer besseren Lebenssituation migrantischer Carearbeiterinnen bieten könnte. So existieren beispielsweise in Kanada und vor allem in Toronto sogenannte „Sanctuary Networks“5, welche die Bedürfnisse von Migranten breiter politisieren und Druck auf die Stadtverwaltung ausüben. Ein ähnliches Modell befindet sich auch in Berlin unter der Beteiligung der Gruppe Respect in Planung. Wir brennen darauf, hoffentlich bald mehr über das Netzwerk zu erfahren. In der Diskussion wurde deutlich, wie sehr migrantische Hausarbeiterinnen auf die Unterstützung durch solidarische Netzwerke angewiesen sind, die beispielsweise Strukturen für sie schaffen können. Auf die innerhalb der radialen Linken wohlbekannte Was können wir für euch tun?-Frage war dies auch eine Bitte überhaupt erst einmal solche Strukturen zu schaffen. Dies steht zwar außerhalb unserer bisherigen Ausgangslage, dass linksradikale Organisationen vorrangig mit anderen Selbstorganisierten kämpfen sollen oder für eine politische Praxis gleich an der eigenen Lebensrealität ansetzen müssen. Auf diesem Feld scheint eine netzwerkartige Struktur aber als eine denkbare Möglichkeit. Des Weiteren braucht es vor allem bewegungsübergreifenden Druck von der Straße als auch von den Gewerkschaften, um erfolgreiche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und rechtlichen Stellung von illegalisierten Migrantinnen zu erreichen!
Wir hoffen in diesem Sinne, dass die Veranstaltung und der nachbereitende Bericht bei Euch als auch bei uns für die Probleme migrantischer Hausarbeiterinnen Aufmerksamkeit geschaffen hat. Bestenfalls können wir darauf hoffen, dass in künftigen Projekten anlässlich politischer Themenfelder, wie beispielsweise Organisierung von Carearbeit, Feminismus, Antirassismus und Mietkämpfe, die Spezifika von illegalisierten Lohnarbeitenden aufgegriffen werden. Wir selbst haben noch keine konkreten Ansatzpunkte gefunden, aber diesbezüglich dient dieser Bericht auch für uns zur Selbstvergegenwärtigung. Wir sind stets offen für Hinweise sowie Anregungen hinsichtlich der aufgeworfenen Fragen.
The Future Is Unwritten, Juli 2016.
1 Homepage: http://www.respectberlin.org/wordpress/
2 Bei der Cocina handelt es sich um den spanischen Begriff einer (Gemeinschafts-)Küche.
3 Gemeint sind hier der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften.
4 Unter anderem finden die Treffen leider nicht auf Spanisch statt, sodass die Kommunikation nur erschwert stattfinden könnte.
5 Homepage: http://sanctuarycanada.ca/