Folgende Rede hielten wir beim Stadtteilspaziergang des Ladenschlussbündnisses am 8. August in Leipzig-Schönefeld.
Liebe Genoss*innen,
Die Auseinandersetzung mit dem Gedenken an der Kamenzer Straße markiert für uns als Gruppe ein wichtiges Spannungsfeld.
Ein paar Straßen weiter (genau hier, wo wir stehen) stand das größte Frauenaußenlager Buchenwalds. Frauen unterschiedlicher Nationalitäten, unter Anderem Jüdinnen, wurden hier zur Rüstungsproduktion für die nationalsozialistische Verbrechens- und Eroberungspolitik gezwungen. Von hier aus gingen auch Todesmärsche ab, wo es bis heute nicht klar ist, wie viele Menschen dabei ums Leben kamen.
Es ist nicht unüblich, dass Orte des nationalsozialistischen Verbrechens in Vergessenheit geraten sind. Seit Jahrzehnten kämpfen die Überlebenden des NS-Terrors für ein angemessenes Gedenken. Sie waren in ihren Kämpfen oft erfolgreich. Die Gedenkstättenlandschaft hat sich verändert in Deutschland. Es wurden auch im Laufe der Jahrzehnte immer mehr Opfergruppen als diese anerkannt.
Doch hier vor Ort haben wir eine Situation, die ein Gedenken verunmöglicht. Das Gebäude, dass vor über 70 Jahren ein Lager für Zwangsarbeiterinnen war, gehört heute einem Neonazi. Es finden immer wieder Rechtsrockkonzerte statt. Außerdem trainiert hier das Imperium Fight Team, mit seinem politisch einschlägig rechten Mitgliedern und Trainer und Aktivisten Benjamin Brinsa.
Der nationalsozialistische Vernichtungsgedanke setzt sich so am Ort seiner Verbrechen ungehindert fort.
Vor dem Gebäude steht eine kleine Gedenktafel. Aufgestellt vom Bund der Antifaschisten e.V. Leipzig. Sie soll an die Verbrechen erinnern, die hier vor Ort verübt worden. Sie wurde mittlerweile sechs Mal zerstört. An die ermordeten und überlebenden Frauen kann so kein Gedenken stattfinden! Wer hier alleine zum Gedenken herantritt muss von dem angsteinflößenden Wissen begleitet werden, als Antifaschist*in erkannt und von dem kampfsporterfahrenen Nazis als solche*r behandelt zu werden.
Wir sagen es also noch einmal: Hier findet kein angemessenes Gedenken statt.
Doch wie kann ein antifaschistisches Gedenken aussehen?
In der Auseinandersetzung darum wollen und müssen wir den Staat thematisieren. Dass der Staat hier auf ganzer Linie versagt hat ist klar und wir sind hiervon nicht sonderlich verwundert.
Obwohl durch die Befreiung 1945 die nationalsozialistische Vernichtungspolitik beendet wurde, konnte sich die Ideologie in den Köpfen Deutscher halten. Diese Kontinuitäten, der Antisemitismus, sind auch im Staat wieder zu finden. Ein staatliches, antifaschistisches Gedenken würde bedeuten sich selbst und die letzten 73 Jahre seines Wirkens in Frage zu stellen und in letzter Konsequenz sich selbst abzuschaffen. Dieses Interesse wird der Staat niemals entwickeln.
Stattdessen entwickelte der Staat auf Druck der Überlebenden andere, vermeintlich antifaschistische Gedenkkonzepte. Damit wird das Bild eines aufgeklärten Deutschlands konstruiert, dass eine moralische Autorität habe. Mit der eigenen Vergangenheit können plötzlich Bundeswehreinsätze legitimiert werden, Deutschland kann mit anderen Ländern in Konkurrenz treten, wer die besten und meisten Denkmäler an die Shoah hat, der NS-Terror wird mit Guido Knopp zu allabendlichen Unterhaltung nach der anstrengend Lohnarbeit. Der Nationalsozialmus wird mit dem Sozialismus der DDR gleichgesetzt. Eine wahrhaft kritische Auseinandersetzung, wie sie gebraucht wird, findet nicht statt. Das Gedenken an den Nationalsozialismus wird so entpolitisiert!
Dass das Bild eines aufgeklärten Deutschlands weit hergeholt ist, können wir am Rechtsruck in der Gesellschaft, also auch deutlich innerhalb aller Parteien sehen. Es gibt eine Diskursverschiebung in den Debatten nach Rechts.
Unser Gedenken muss die Strukturen aufzeigen, die im Nationalsozialismus wirkmächtig waren, aber auch heute den gesellschaftlichen Rechtsruck bedingen. Hier in der Kamenzer Straße verknüpfte sich der deutsche Überlegenheitsanspruch mit Antisemitismus und Sexismus. U.a. waren auch Jüdinnen in diesem Lager inhaftiert, die noch härtere Arbeitsbedingungen hatten als die restlichen Zwangsarbeiterinnen. Die Strukturen, die dieses Leid ermöglichten, waren gesellschaftlich tief verankert. Die dahinter stehende Ideologie von den Einzelnen Gesellschaftsmitgliedern getragen und verinnerlicht.
Heute finden wir eine Situation vor, wo ein ehemaliges Konzentrationslager Eigentum von jemandem aus dem Umfeld rechter Strukturen ist. Die Gruppe, also wir, die das skandalisiert ist verhältnismäßig klein. Wie kann es sein, dass dies niemanden interessiert? Hier geht es auch um Solidarität mit den Überlebenden und den Ermordeten. Zudem wird sich kaum damit Auseinandergesetzt, dass es sich um ein Frauen(!) Außenlager handelte. Das Anerkennen weiblichen Leids, aber auch die Ausübung des Leids durch Frauen, passiert nicht. Es gab nicht nur männliche Häftlinge und Täter.
Unser Gedenken soll nicht nur die Strukturen aufzeigen, sondern sich auch mit den Individuen beschäftigen. Individualität ist ein wichtiger Teil von der gesamtgesellschaftlichen Emanzipation. Wir sollten in der Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Frauenkonzentrationslager also auch Zeitzeuginnen zu Wort kommen lassen. Ihnen zuhören, was sie erlebt haben und welche Forderungen sie stellen! Wichtig bleibt dabei nur, nicht das Leid in den Mittelpunkt unserer Betrachtung zu stellen, sondern weiterhin die Kausalzusammenhänge und die Verantwortlichkeiten zu thematisieren. Es müssen die Täter*innen benannt werden, aufgezeigt werden, dass es normale Menschen waren, die zu grausamen Taten fähig waren.
Der immer größere zeitliche Abstand führt dazu, dass eine Schuldabwehr stattfindet. Anstatt, dass sich kritisch mit der Vergangenheit auseinandergesetzt wird, wünscht man sich keine Thematisierung. Dadurch werden die seit dem Nationalsozialismus fortlaufenden Prozesse und die sich neu formierende Rechte verschwiegen.
Ein antifaschistisches Gedenken muss den aktuellen antisemitischen, rassistischen, antifeministischen Zustand der Gesellschaft aufzeigen und bekämpfen! Er muss gegen die Normalisierung dieses Zustands angehen.
Ein antifaschistisches Gedenken muss sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandersetzen, muss die Täter*innen benennen, den Opfern Solidarität entgegenbringen und die dahinter liegenden Strukturen aufzeigen. Er muss die Zeitzeug*innen ernst nehmen, das erzählte reflektieren und in eine linke Geschichtsschreibung einarbeiten.
Ein antifaschistisches Gedenken darf nicht nur den kommunistischen Widerstand thematisieren, sondern muss auch auf andere Formen des Widerstands und des Nicht-Widerstands eingehen. Unser Gedenken darf kein stilles sein! unser Gedenken muss stören – besonders an diesem Ort.
Wie aus Stadtratsprotokollen zu entnehmen ist, ist der Verfassungsschutz in irgendeiner Weise in der Kamenzer Straße involviert. Unser Erfahrung nach wird das die rechten Strukturen eher erhalten als schwächen. Wir wollen kein Nazitrainingszentrum. Weder in einem ehemaligen Konzentrationslager noch irgendwo! Das bedeutet wir müssen stören! Wir müssen die Strukturen zerschlagen! Wir müssen uns aktiv entgegenstellen.
Das bedeutet antifaschistisches Gedenken!
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