Thesen gegen den Vorwurf der “Transexklusivität” an unsere Gruppe
Im Jahr 2017 sowie im diesem Jahr haben wir uns als Gruppe the future is unwritten an feministischen Aktionen rund um den 8. März beteiligt. Im vorvergangenen Jahr organisierten wir als Teil des Leipziger Feministischen Kampftagsbündnisses (FKT) die Demo „No Rollback! Hollaback! Fight Back! – Feministische Kämpfe in die Offensive“. Anstatt eine Demonstration zu planen, wollten wir im Jahr 2018 Feminist*innen einen Raum für Empowerment, Vernetzung, kollektive Organisation und Theoriearbeit bieten. Die Reihe „Querschnitt Feminismus“ entstand. Wie immer, wenn man sich politisch positioniert, bleibt Kritik nicht aus. Das ist gut. Wir freuen uns über Diskussionen und konstruktive Kritiken unserer Aktionen. In den letzten Jahren ist es häufig zu beobachten, dass feministischen Gruppen und Aktionen über soziale Netzwerke zum Vorwurf gemacht wird, „terfs“ (trans-exclusionary radical feminists) zu sein. Sowohl unsere Demonstration als auch die „Querschnitt Feminismus“-Reihe riefen derlei Reaktionen hervor. Der Vorwurf, trans-Personen aus unseren Kämpfen auszuschließen oder in unseren Kämpfen nicht zu beachten, ist ein schwerer. Wir nehmen ihn ernst und wollen im Folgenden darauf antworten.
1. Es ist wichtig, Transexklusion und Transphobie voneinander zu unterscheiden; es sind verschiedene Phänomene, die separat im Hinblick auf die jeweilige Praxis reflektiert werden müssen.
1.a) Transphobie existiert in feministischen Kämpfen, hat sich aber im FKT-Bündnis, insofern wir darin Einblick hatten, nicht gezeigt. Transphobie meint (über den wörtlichen Sinn hinaus) in der Regel nicht Angst vor trans-Personen, sondern Abneigung gegen oder Hass auf sie. Abneigung gegen trans-Personen ist in feministischen Kämpfen etwa unter Verweis auf folgende Argumente zu finden:
- trans-Personen würden helfen, binäre Geschlechterkategorien aufrechtzuerhalten und zu verstärken
- trans-Frauen seien Männer, die weibliche und feministische Identifikation, Kultur, Politik und Sexualität „kolonialisierten“
- trans-Frauen würden sich ihrer Männlichkeit entledigen, um diese nicht mehr reflektieren zu müssen
Eine solche Argumentation hat sich weder in unseren theoretischen Analysen noch in unserer politischen Praxis ausgedrückt.
1.b) Transexklusion ist ebenfalls existent in feministischen Kämpfen – auch in Kreisen, die nicht explizit transphob sind und nicht transexklusiv sein wollen. Das hat vor allem strukturelle Gründe.
Viele feministische Gruppen bestehen überwiegend aus cis-Frauen; trans-Personen sind dagegen kaum vertreten. Es ist eine sinnvolle politische Praxis, für die eigene Befreiung und Selbstbestimmung einzutreten sowie für die Befreiung und Selbstbestimmung aller – auch wenn manche Menschen von anderen Diskriminierungsformen betroffen sind. Unserer Meinung nach ist es möglich, sich solidarisch mit betroffenen Gruppen zu zeigen, auch wenn diese Solidarität nicht aus individueller Erfahrung rührt. So finden sich beispielsweise oft cis-Männer in feministischen Gruppen, die gemeinsam mit Frauen* gegen den sexistischen Normalzustand kämpfen.
Dass viele feministische Gruppen aus cis-Frauen bestehen und diese zunächst aus eigener Perspektive begreifen und handeln, ist oft mit strukturellen Ausschlüssen verbunden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der Gegenstand der Betrachtung mit dem analysierenden Subjekt verändert. Die politischen Forderungen, welche Frauen* aus der umfassenden Analyse des Geschlechterverhältnisses ziehen, müssten nicht abweichen von jenen, welche sich für trans-Personen ergeben. Tatsächlich lässt sich in der politischen Praxis aber feststellen, dass genau diese Forderungen doch verschieden ausfallen, was wir als Folge der unterschiedlichen individuell-konkreten (Leidens-)Erfahrungen bewerten. Entsprechend halten wir eine feministische Praxis für sinnvoll, in der sich über diese Erfahrungen ausgetauscht werden kann, um eine Assoziation hinsichtlich einer gemeinsamen feministischen Politik zu ermöglichen.
Versuche der aktiven Integration diverser politischer Gruppen, die unseren feministischen Anspruch teilen, in das FKT-Bündnis 2017 und in die Organisation der „Querschnitt-Feminismus“-Reihe haben stattgefunden. Bewusst haben wir aber von einer Quotenpolitik verschiedener Identitäten abgesehen, da die jeweilige Betroffenheit oder Identität zwar ein Motiv sein kann, aber nicht die Voraussetzung einer Analyse patriarchaler Strukturen sein muss.
2. Die Kritik an unserer Praxis entlädt sich vor allem auf der Symbolebene – wichtig ist uns eine Diskussion über die damit zusammenhängenden Inhalte.
Die Kritik, die sich an das FKT-Bündnis 2017 richtete, bezog sich auf die verwendete Symbolik. Mit einer Symbolik, die sich an biologisch weiblichen Körpern orientiert, wollen wir den phallozentrischen Bildern dieser Gesellschaft entgegentreten und Unsichtbares sichtbar machen. Hierzu gehören, selbstverständlich nicht ausschließlich, Bilder von Vulven und Tampons (wobei wir diese nie mit Frau*sein gleichsetzten). Dennoch wollen wir nicht auf einer Symbolebene verbleiben und auch nicht darauf reduziert werden, sondern an unseren inhaltlichen Positionen in Aufrufen, Beiträgen und anderem gemessen werden. Ausschließlich die Art und Weise der bildlichen Darstellung von Geschlechtsorganen in irgendwelchen Veröffentlichungen von uns zu suchen und zu kritisieren, sehen wir nicht als geeignete Grundlage einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Viel wichtiger ist es uns, eine kritische Gesellschaftsanalyse zu betreiben, über deren Richtigkeit sich wild gestritten werden kann.
3. Die Benennung von Frauen* sowie die Thematisierung von Gebärmüttern, Vulven und Menstruation ist ein wichtiger – wenn auch nicht der einzige – Bestandteil feministischer Praxis.
In unseren Kämpfen haben wir das Ziel, das soziale Konstrukt der binären Geschlechter abzuschaffen. Diese Unterteilung der Menschen ist notwendig für eine Hierarchie zwischen den Geschlechtern. Unter Feminismus verstehen wir den Kampf gegen die alltäglichen Beschädigungen, die wir durch die Konstruktion von Geschlecht erfahren. Historisch ist darunter vor allem die Ermächtigung vieler Frauen* zum politischen Subjekt zu verstehen. Deshalb wollen wir in unserer konkreten Praxis auch konkrete Diskriminierungen als gesellschaftliche Realität benennen. Um verändernd in die Welt eingreifen zu können, ist es notwendig, die Verhältnisse zu verstehen. Für einen emanzipatorischen Kampf ist also das sprachliche (Be-)Greifen dieser Verhältnisse und somit das bewusste Sprechen von „Mann“ und „Frau“ unvermeidlich.
Bei der „Querschnitt Feminismus“-Reihe stieß diese Bezeichnung einiger Workshop-Zielgruppen auf Entrüstung: „Es sind diejenigen eingeladen, die in Vergangenheit und/oder Gegenwart die gesellschaftliche Erfahrung einer Frau gemacht haben.“ Facebook-Kommentatorinnen und Mailschreiberinnen warfen uns vor, trans-Frauen aktiv aus unseren Workshops ausschließen zu wollen. Missachtet wird dabei allerdings, dass wir nicht von der individuellen Geschlechterwahl sprachen, sondern von einer gesellschaftlichen, zwangsweise durchgeführten Geschlechtseinteilung, die Realität ist. Alle Menschen, die in ihrem Leben als Frau behandelt wurden, und somit diese Erfahrung teil(t)en, waren zu diesen Workshops eingeladen. Die Problematik des Labelings „women only“ verweist damit auf einen real vorhandenen Widerspruch, der sich durch reine Sprachpolitik nicht lösen lässt. Bezüglich der Begriffe „Frau“ und „Frau*“ sind wir uns der dialektischen Problematik der Verwendung des Sternchens bewusst. Wir sehen einerseits die Gefahr, in dieser Unterscheidung die Natürlichkeit von Frausein zu reproduzieren und zu festigen. Andererseits sehen wir es als notwendig an, auf die gesellschaftliche Realität zu verweisen, um diese bekämpfen und abschaffen zu können. In der Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität sehen wir unser politisches Kampffeld. Materialistischer Feminismus will den Körper wieder mitdenken und muss sich heute fragen, wie ein positiver, kämpferischer Bezug auf die Kategorie Frau aussehen kann, der sowohl die Psychoanalyse als auch die Kritik der politischen Ökonomie zum Bezugspunkt haben kann und die Absicht verfolgt, jenes Leiden aufzuheben, welches die gesellschaftlichen Verhältnisse verursachen. Mit „Querschnitt Feminismus“ wollten wir u. a. Menschen, die die gesellschaftliche Erfahrung einer Frau gemacht haben/machen, die Gelegenheit bieten, sich mit Theorien und Praktiken zu beschäftigen, die als männlich dominiert gelten.
Dem FKT-Bündnis 2017 wurde vorgeworfen, Vulven oder Menstruation zu thematisieren. Darauf möchten wir entgegnen: Menschen mit Gebärmüttern leiden in spezieller Weise unter dem Patriarchat, beispielsweise durch repressive Abtreibungsgesetze oder der Tabuisierung ihrer Menstruation. Dieser spezifischen Unterdrückung sind cis-Frauen und trans-Männer ganz real unterworfen. Wir halten es für einen falschen Schritt, Reproduktion und Menstruation aus feministischen Kämpfen auszuklammern, bloß weil nicht alle Frauen* davon gleichermaßen betroffen sind. Hierbei geht es nicht darum, etwa Weiblichkeit oder das Frausein mit Gebärmüttern und Vulven gleichzusetzen. Es geht darum, Diskriminierungsformen zu kritisieren, von denen sehr viele Frauen betroffen sind. Dadurch, dass in den Veranstaltungen des FKT-Bündnisses an anderer Stelle wiederum andere Aspekte wie Transphobie, Ableism oder Rassismus in ihrer Spezifik thematisiert wurden, konnte ein Gesamtbild problematischer Geschlechter- und Herrschaftsverhältnisse und deren verschiedener Angriffspunkte entstehen.
4. Da in dieser Gesellschaft eine Vielzahl von Unterdrückungsformen zusammenwirken, sollten wir differenziert analysieren, jedoch gemeinsam kämpfen, anstatt Kämpfe gegeneinander auszuspielen.
Es ist schwierig, Erfahrungen mit Diskriminierungen nachzuempfinden, welche man nicht selbst gemacht hat. Dennoch widersprechen wir der These, dass Empathie unmöglich sei. Genauso wie es cis-weiblichen Feministinnen schwer fallen wird, vollumfänglich nachzuempfinden, wie es ist, als trans-Person tagtäglicher Diskriminierung und Angriffen ausgesetzt zu sein, kann es manchen trans-Frauen schwer fallen zu verstehen, wie es ist, als Frau sozialisiert worden oder dem staatlichen Zugriff auf die eigene Gebärmutter ausgesetzt zu sein. Seit langem wird ein Feminismus kritisiert, dem es nur um reproduktive Rechte und die Einkommensspanne zwischen cis-Frauen und cis-Männern geht. Dieser wird als „white feminism“ gelabelt. Diese Kritik ist insofern berechtigt, als schwarze Frauen* neben der Unterdrückung, die auch weiße Frauen* erfahren, weiteren Diskriminierungsformen ausgesetzt sind und diese in der Agenda weißer Feminist*innen oft nicht thematisiert werden. Diese Kritik wird aber dahingehend erweitert, dass jede Thematisierung etwa von reproduktiven Rechten, und der damit in Zusammenhang stehenden Symbolik, als „transexkludierend“ bezeichnet wird. Aus dem Vorwurf, sich nur mit der eigenen Unterdrückung auseinanderzusetzen, wird die Forderung abgeleitet, zentrale Aspekte der eigenen Unterdrückung gar nicht mehr zu thematisieren, weil andere nicht davon betroffen sind. Problematisch daran ist das Bedürfnis, eine Unterdrückung gegen die andere abzuwägen, eine als schwerwiegender zu deklarieren als eine andere. Wir sind überzeugt, dass strukturelle Ursachen für repressive gesellschaftliche Verhältnisse auch von Menschen, die nicht direkt negativ betroffen sind, erkannt und bekämpft werden können. Analog dazu denken wir auch, dass Männer Feministen sein können. Die Erfahrungen, die trans-Personen machen, können von denen von cis-Frauen abweichen, die Diskriminierungsformen sollten aber benannt, analysiert und überwunden werden, ohne dabei gegeneinander gestellt zu werden. Wir finden, dass angesichts der vielfältigen Differenzen nicht auf eine solidarische Praxis und Organisation verzichtet werden darf, da sonst einer umfassenden Emanzipation eine Absage erteilt würde. In all diesen Kämpfen, die geführt werden müssen, ist es notwendig, in der Analyse zu differenzieren, in der Praxis jedoch zu assoziieren. Feministische Kämpfe zu vereinen, bedeutet für uns, die vielen Facetten von Sexismus und Frauenfeindlichkeit zu benennen und anzugehen, ohne die einzelnen Kämpfe gegeneinander auszuspielen.