„Griechenland trumpft wieder auf“ titelte Die Welt Ende März. Und auch Die Frankfurter Allgemeine verkündete Mitte April nicht ohne Stolz auf den eigenen deutschen Beitrag zur Krisenbewältigung „6 Gründe, warum Griechenland wieder hoffen kann“.
Nehmen wir die Verlautbarungen der Regierungsvertreterinnen und Journalisteninnen ernst und sagen, die Krise des Euroraums scheint sich zaghaft zu beenden. Nehmen wir die Wachstumsprognosen des Internationalen Währungsfonds und der Finanzmärkte ernst und behaupten, die griechische Wirtschaft erholt sich.
Sagen wir, es werden mehr Autos fabriziert, die Tourismusbranche erlebt ein Rekordhoch, Schnellstraßen werden gebaut und die ersten Staatsanleihen wieder ausgegeben.
Dann ist die Frage, was die Jubeltöne angesichts der sich erholenden Wirtschaft zu bedeuten haben, wenn wir doch davon ausgehen, dass das Funktionieren des kapitalistischen Räderwerks heute nur noch wenig mit dem Glück der Menschen zu tun hat.
Und in der Tat: In aller Brutalität hieß es in den letzten Jahren unter anderem gegenüber Griechenland: Friss oder stirb. Stell dich auf die veränderten Bedingungen der Verwertung ein oder lande in der Gosse und verrecke ohne Krankenversorgung. Das sind die Vorrausetzungen unter denen sich die ökonomischen bedingungen des Euro-Raums erholen. Die EU Troika unter deutscher Hegemonie, aber auch die jeweiligen Regierungen in den Nationalstaaten walteten in den letzteren Jahren als Modernisierungsregime, das den Krisenstaaten die aktualisierten Erfordernisse des Kapitals diktierte; das die Forderungen nach deregulierten Arbeitsverhältnissen, den Abbau von gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechten und den Verfall sozialstaatlicher Garantien diktierte.
Als Konsequenz der Krise tritt so die Logik des Kapitals in einer brutalisierten Reinform zu Tage. Das heißt: Verelendung durch Massenentlassungen, Zwangsräumungen und Altersarmut auf der einen Seite, akzeptable Profitraten auf der anderen. Selektion nach Maßgabe der Verwertbarkeit.
Wenn also die Konsequenz der Krise ist, das die Logik der Verwertung mit aller Erbarmungslosigkeit wieder hergestellt wird, muss man sagen: Eine wirkliche Krise des Kapitals als gesellschaftlichem Verhältnis hat nie stattgefunden. Mögen einzelne Kapitaleigner, Nationalökonomien oder sogar ganze Währungsräume panisch geworden sein, im Angesicht von Akkumulationsklemmen ihre Waren auf dem Weltmarkt nicht mehr vorteilhaft anbieten zu können – die Spielregeln des Kapitals wurde damit nicht gebrochen. Allenfalls war es die Krise unproduktiver Elemente, nicht profitabler Ballast, der ausgesondert werden musste. Allein das ist die normale Systematik kapitalistischer Konkurrenz.
Und die Agenten dieser Systematik bedürfen dabei nicht einmal mehr humanistischer Ideologien um sie zu legitimieren, sondern können mit bloßer Alternativlosigkeit, dem reinen Sachzwang argumentieren.
Der Kapitalismus legitimiert sich als offenbar inhumane Zwangsveranstaltung selbst – und stößt damit in Deutschland, also dort, wo die Prekarisierung der Lebensverhältnisse als Vorbild für Europa schon mit der Agenda 2010 exerziert wurde, nicht einmal auf geringen Widerstand.
Die Schikane im Arbeitsamt wird peinlich berührt hingenommen. Der Disziplinierung zur Pflicht am Projekt Deutschland durch Hartz IV begegnen zwar die Wenigsten mit Begeisterung, aber die Meisten mit Apathie und einem notwendigen Mindestmaß an Gehorsam.
Die Demütigung am Arbeitsplatz wird mit Blick auf die Probezeit oder dem latenten Bewusstsein der eigenen Überflüssigkeit erduldet, die zusätzliche Doppelbelastung von Frauen im Haushalt scheint als Naturgesetz gegeben.
Und der Burn-Out durchs Studium, durch die Projektarbeit als freier Mitarbeiter und die zusätzliche Nebenerwerbstätigkeit führt nur selten zum Widerstand, sondern viel eher in die psychischen Beratungsstellen im Campus. Ganz zu schweigen, vom pragmatischen Schund, der einem an der Universität als scharfsinniges Wissen verkauft wird.
So kommen die konkreten Unrechtserfahrungen, die jeder doch im Alltag erfährt, kaum noch als real veränderbare zu Bewusstsein. Das Öffentliche wird privatisiert und durch Vereinzelung erleben wir die strukturellen Zwänge dieser Gesellschaft als individuelles Unvermögen. Auch bei Linksradikalen, die ja die vermeintliche Naturgegebenheit des Kapitals theoretisch durchschaut haben, bleibt das eigene Leben auf eigentümliche Weise praktisch entpolitisiert, verdinglicht, nicht veränderbar.
Genau hier jedoch müsste eine emanzipatorische Praxis einsetzen: Bei den eigenen Lebensverhältnisses und der Erkenntnis, dass sie mit dem unwürdigen Alltag anderer verknüpft sind. Der Ort der Auseinandersetzung mit den Verhältnissen kann nur dort sein, wo wir ihr konkretes Leid erfahren – und das sind nur bedingt die abgekapselten Szene-Zirkel, in denen Kritik am Kapital heute überwintert.
Ort der Auseinandersetzung können zum Beispiel die anstehenden Kürzungen an sächsischen Hochschulen sein. So reformistisch der Protest dagegen belegt ist, auch dort wird die Logik der Verwertung vollzogen.
Er kann der Arbeitskampf bei Amazon sein, wo sich Beschäftigte seit einem Jahr gegen die Sauereien einer deregulierten Arbeitswelt wehren.
Und er kann, wie wir gesehen haben, der Kampf von Geflüchteten gegen den Horror der Abschiebebehörden oder die Verhinderung von Zwangsräumungen sein.
Mag sein, dass dort nicht gleich die Revolution um die Ecke winkt. Mag auch sein, dass man es dort mit der ein oder anderen problematischen Position zu tun bekommt– ohne praktische Auseinandersetzung mit konkreten Institutionen und Zuständen, an denen sich Herrschaft kristallisiert, wird sich aber weder wirkliche Selbstermächtigung einstellen, noch ein solidarischer Suchprozess möglich, in dem endlich handfeste Alternativen zu dieser Gesellschaft entwickelt werden können.
Denn eins ist auch klar: Die radikale Linke hat den pragmatischen und deshalb systemstützenden Kräften in dieser Gesellschaft nur wenig voraus, wenn sie sich auf das Bilderverbot und die eigene Radikalität zurückzieht. Um endlich wirkmächtig zu werden, müssen wir uns auch damit beschäftigen, wie Selbstermächtigung im Hier und Jetzt realistisch durchführbar ist.
Der Kapitalismus befindet sich nicht in seinen letzten Zügen, er steuert auch nicht auf seine letzte Krise zu, er funktioniert ganz hervorragend – und genau das ist der Skandal. Damit er endlich seine Krise erfährt, seinen situativen Wendepunkt, bedarf es des gemeinsamen Handelns politischer Subjekte – bei allen Schwierigkeiten, Mühen und Unsicherheiten, die das mit sich bringt und vor denen wir uns heute in unseren Szenezusammenhängen flüchten.
Lasst uns die eigene Beschränktheit überwinden und endlich praktisch für die befreite Gesellschaft eintreten! Für den Kommunismus!
Und ganz nebenbei: Die anstehende Eröffnung der Europäischen Zentralbank im Herbst in Frankfurt könnte ein Ort sein, um bestehende Kämpfe zu verknüpfen und das Einverständnis zu dieser Gesellschaft zumindest symbolisch aufzukündigen.