TOP B3rlin zum Frauen*kampftag 2014 – Demo am 8. März in Berlin
Wenn die Bundesarbeitsministerin erklärt, dass sie Feminismus braucht, „weil nur eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichgestellt sind, eine moderne Gesellschaft ist“, dann zeigt das ziemlich deutlich, dass das F-Wort etwa so viel politischen Sprengstoff wie eine Luftpumpe hat. Weitere Beispiele dafür finden sich zuhauf: die Debatte, die unter dem Hashtag #Aufschrei versuchte Alltagssexismus darzustellen, die Kampagne Pinkstinks, die sich gegen hellblaue und rosa Geschlechterstereotype wendet oder zuletzt der viel diskutierte Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung in Friedrichshain-Kreuzberg, keine sexistische Werbung mehr auf den (wohlbemerkt wenigen) bezirkseigenen Werbeflächen zuzulassen. All diese wichtigen Debatten und Kampagnen werden größtenteils ohne öffentlich wahrnehmbare theoretische oder praktische Beteiligung linksradikaler Gruppen geführt. Klassische feministische Interpretationen und antisexistische Interventionen werden weitgehend dem bürgerlichen Lager überlassen. Das F-Wort hat längst einen verstaubten und überholten Anklang. Das zeigt sich auch im defensiven Subtext des Spruchs „still loving feminism“. Was eigentlich einen Versuch darstellt, sich Feminismus wieder anzueignen, verrät gleichzeitig die Notwendigkeit, ihn zu verteidigen. Wenn sich Politiker_innen von SPD über Linkspartei bis zu den Grünen, Stadtverwaltungen und Unternehmen dazu bekennen, könnte es so scheinen, als wäre Feminismus kaum noch geeignet, um eine radikale Kritik der Verhältnisse voranzubringen.
Frauen* an die Front
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch an der jahrzehntelangen Professionalisierung und Institutionalisierung feministischer Ansätze ablesen, die von Frauenförderung über Gleichstellungsindikatoren zu Gender Mainstreaming reicht und faktisch ihre Entradikalisierung nach sich zog. Wer sich die Landschaft der staatlichen Gleichstellungspolitik und -diskurse genauer anschaut, wird schnell feststellen, dass die vielen schönen Worte, Maßnahmen und Instrumente meist nur eine rhetorische Funktion haben und in der Praxis weitgehend wirkungslos bleiben. Ein Großteil staatlicher und betrieblicher Gleichstellungspolitik basiert zudem auf einer quantitativen Vorstellung, die den Gleichstellungserfolg durch Indikatoren und Quotierungen misst. Diese Vorstellung manifestiert sich etwa in der „Frauen an die Spitze“-Argumentation, wie der Titel einer Kampagne des Bildungsministeriums lautet. Dabei geht es nicht primär um Gleichberechtigung, sondern um die Nutzbarmachung weiblicher Humanressourcen und Potentiale. Ähnlich wie beim Diversity Management wird der Aspekt der strukturellen Ungleichheit von Geschlecht neoliberal gewendet und in ein modernisierungstheoretisch aufgeladenes Paradigma verkehrt. Oder einfacher ausgedrückt: Gleichstellung wird zur Voraussetzung einer modernen kapitalistischen Gesellschaft, in der kein Potential ungenutzt bleiben soll. Wie alle als „Andere“ und „Verschiedene“ verstandene Menschen sollen auch Frauen* betriebs- und nationalökonomische Vorteile verschaffen, indem sie helfen Ineffizienzen weiß-männlich-heterosexueller Routinen zu überwinden. Ein Beispiel ist etwa die Rede von weiblich konnotierten soft skills, die der moderne Manager für effiziente Personalpolitik braucht. Dass sich Frauen* in defizitärer Manier durch Rhetoriktrainings und Verhandlungsgeschick an eine männliche Norm anpassen sollen, um erfolgreich zu sein, wird dadurch aber keineswegs in Frage gestellt, sondern sogar institutionalisiert.
Die ideologische Grundlage dieser gleichstellungspolitischen Bemühungen ist allerdings ebenso krude wie falsch. Die auf Ober- und Mittelschichten bezogene Gleichstellungspolitik geht nämlich einher mit der Feminisierung von Migration und von Armut. Ebenso sind auch dem Gender Mainstreaming gegenläufige geschlechterpolitische Tendenzen, die auf eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen zielen, nach wie vor virulent – etwa eine bürgerlich-konservative Familienpolitik, die durch Maßnahmen, wie Betreuungsgeld und Ehegattensplitting an dem Ernährer-Hausfrau bzw. dem Ernährer-Zuverdienerinnen-Modell festhält. Aber auch die Perspektive eines Elitenfeminismus, der etwa durch Quotierungen in Aufsichtsräten erreicht werden soll, ist in mehrfacher Hinsicht problematisch: Finanzielle Unabhängigkeit bspw. vom Familienernährer ist zwar eine notwendige Grundlage für Emanzipation und Befreiung aus patriarchaler Herrschaft, faktisch entsteht jedoch eine Doppelbelastung für erwerbsarbeitende Frauen*. Die Verteilung der Haus- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern hat sich eben nicht wirklich verändert. Die Frauen*, die Karriere machen, müssen die Reproduktionsarbeit entweder einkaufen (diese wir dann wiederum von anderen, deklassierten und meist migrantischen Frauen* verrichtet) oder eben auf Kinder und Familie verzichten – eine Entscheidung, die Männern* nicht abverlangt wird.
Abgesehen davon basiert bereits die Idee, Erwerbsarbeit für Frauen* sei gleichbedeutend mit ihrer Emanzipation, auf einer idealisierenden Vorstellung von Arbeit, die den kritischen Blick auf die kapitalistische Ausbeutung ideologisch verstellt. Die bloße Integration von Frauen* in kapitalistische Verhältnisse hat daher kein echtes emanzipatorisches Potential. Gerade deshalb bedarf es einer radikalen Kritik an allen herrschaftlich strukturierten Verhältnissen. Andernfalls bleiben feministische Forderungen allzu leicht auf der kulturellen Anerkennungsebene stehen, wo sie häufig eine seltsame Allianz mit den Zielen der Neuordnung kapitalistischer Verwertung eingehen oder für diese nutzbar gemacht werden können. So fiel etwa die Forderung nach mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen* in einer Zeit, in welcher der Fordismus gerade in eine Krise geraten war, auf fruchtbaren Boden. Das Familienernährermodell war nationalökonomisch zu teuer geworden und Frauen* somit als lohndrückende „Reservearmee“ äußerst nützlich beim Um- und Abbau des Sozialstaates.
Die Kritik an den liberalen Inhalten eines bürgerlich geprägten Feminismus ist so alt, wie die Geschichte der Frauen*bewegung selbst. Bekannte Kritikerinnen sind etwa Clara Zetkin, die sich für einen sozialistischen Feminismus einsetzte, die „Lohn für Hausarbeit“-Bewegung der 70er Jahre, die Bielefelder Entwicklungssoziologinnen mit ihrem Subsistenzansatz, Aktivist_innen of Colour wie FeMigra, die früh auch in Deutschland die Verschränkung verschiedener Herrschaftsverhältnisse analysierten, oder das Netzwerk von Wissenschaftlerinnen aus dem globalen Süden, DAWN (Development Alternatives with Women for a New Era). Sie alle eint die Erkenntnis, dass Feminismus und Gleichberechtigung niemals Mainstream sein können, so lange der kapitalistische Malestream auf Ausbeutung, Konkurrenz und Unterdrückung beruht.
Queer und frei?
Seit Beginn der Finanz- und Währungskrise und der damit einhergehenden größeren ökonomischen Unsicherheit ist das Thema Ökonomie in der Frauen*- und Geschlechterforschung auf einmal wieder en vogue. Interessanterweise zu einem Zeitpunkt, an dem das gesamte Feld durch die Kulturwissenschaft überrollt worden ist und damit eine „Butlerisierung“ deutscher Universitäten bis hin zu queeren Szenepolitiken stattgefunden hat. Das von Judith Butler angestoßene, mittlerweile aber verselbständigte „Queer-Theorem“, hat – zumindest in Deutschland – fast alle bisherigen Debatten auf den Müllhaufen der Geschichte verfrachtet. Zwar ist der dekonstruktivistischen Intervention von Butler und anderen Theoretiker_innen in die Frauen*- und Geschlechterforschung die radikale Kritik an Zweigeschlechtlichkeit, Heteronormativität und der scheinbaren Neutralität von (Natur-)Wissenschaft hoch anzurechnen. Damit machten sie die radikalen queeren Kämpfe auch theoretisch sichtbar. Und es war wohl eine der wichtigsten kritischen Einsichten der Gender Studies, dass Frauen*bewegung und Geschlechterforschung durch ihren Fokus auf Geschlecht diese Kategorie selbst essentialisier(t)en, anstatt auf deren Überwindung hinzuarbeiten. Andererseits aber hat der Fokus der gender Studies auf Diskurse und Performanzen oft konkrete Analysen der materiellen Bedingungen geschlechtlicher und sexueller Ungleichheiten und Normen übersprungen, d.h. die Frage, wie Geschlechtlichkeit als soziales Verhältnis überhaupt entstehen und reproduziert wird – und damit ihre Strukturierung durch kapitalistische Verhältnisse und nationale Interessen ignoriert.
Auch ist die Queer Theory selbst nicht ideologiefrei. Mit ihrem Anspruch, Geschlecht zu pluralisieren und dadurch abzuschaffen, tappt die Queer Theory selbst in die Ideologiefalle des Jahrhunderts: Die Pluralisierung von Geschlechtsidentitäten passt sich nämlich wunderbar in die neoliberale Passform der Flexibilisierung ein. Oder anders gesagt: Ausgebeutet werden alle Arbeitnehmer_innen – ganz unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität, wenn auch durchaus in unterschiedlicher Weise. Denn weiterhin sind Menschen, die sich nicht in die zweigeschlechtliche Matrix fügen, zugleich in spezifischer Weise von heterosexistischer Normierung, Ausgrenzung und Gewalt betroffen, insbesondere entlang von Klassengrenzen und rassistischer Zuschreibungen. Queer-Politik und -Theorie, die diese Phänomene rein identitätspolitisch als Ergebnis kultureller Diskurse denkt und dabei die materielle Realität außen vor lässt, greift zwangsläufig ins Leere. Auch deshalb können die bisherigen Versuche, Queer-Ansätze mit Antikapitalismus zusammenzubringen, selten überzeugen. Sie bleiben meist darauf beschränkt, den Kapitalismus diskursiv zu dekonstruieren, weil sie ihn fast ausschließlich unter dem Paradigma des Diskurses verstehen. Sie verfehlen damit seine historische und materielle Verfassung.
Care for Communism
Für eine linksradikale Perspektive bietet die aktuelle Care-Debatte Anknüpfungspunkte. Darin wird die Bedeutung gesellschaftlicher Reproduktion – von der Hausarbeit bis zur Kindererziehung und Altenpflege – für Geschlechterungleichheit untersucht. Die Erkenntnisse daraus sind aufschlussreich, wenn auch nicht allzu überraschend: Dass Reproduktionsarbeit zu Niedriglöhnen oder auch umsonst quasi „nebenbei“ verrichtet wird, ist kein Zufall, sondern liegt in der Produktions- und Regulationsweise des kapitalistischen Systems begründet. Wie dies im Einzelnen geschieht und nach welcher Logik der gesamte Care-Sektor funktioniert, wird durch die Debatte besonders eindrucksvoll dokumentiert. Wenn es jedoch um konkrete Lösungsansätze und Verbesserungsvorschläge geht, muss nicht selten wieder der gute alte Sozialstaat herhalten. In sozialdemokratischer Manier wird dann argumentiert, dass der Staat gegensteuern und seiner Verantwortung für die gesellschaftliche Reproduktion nachkommen muss, wenn Geschlechterungleichheit für den Kapitalismus funktional ist.
Die ganze Care-Debatte deshalb über den Haufen zu werfen, wäre aber zu kurz gedacht. In der Analyse ist einiges zu holen, nur die Konsequenz muss eine andere sein. Schließlich war es die Care-Debatte selbst, die staatliche Interessen an der Steuerung von Care-Work in den Mittelpunkt ihrer Analyse stellte. Sorgetätigkeiten werden sowohl marktförmig wie auch privat organisiert und unterliegen staatlicher Regulation (v.a. Gesundheits-, Familien- und Arbeitsmarktpolitik), die je nach Erfordernissen auf Kommodifizierung oder auf Reprivatisierung von Sorgetätigkeiten setzt. Es ist nationales Interesse, dass diese Tätigkeit bis über die Grenzen der individuellen Belastbarkeit der Sorgenden hinaus so nationalökonomisch günstig wie möglich ausgeübt werden – zum Wohl des Standorts eben. Den Nationalstaat zu bitten, seine Politik an der sorgeökonomischen Entlastung der Einzelnen auszurichten, ist ebenso realitätsfremd wie die Forderung nach einem menschlichen Kapitalismus. Ein radikaler Feminismus sollte deshalb nicht nur antikapitalistisch, sondern auch antinational und gegen den Staat gerichtet sein. Will er gleichzeitig die Verschränkung mit strukturellem Rassismus mitdenken, kommt er auch um eine antirassistische Perspektive nicht umhin. Schließlich zeigt die Care-Debatte besonders eindrucksvoll, wie Geschlechterungleichheit im Kapitalismus mit einem rassistischen Grenz- und Abschieberegime zusammenwirkt. Dies gelingt ihr etwa durch die Analyse von globalen Care-Ketten, die entstehen, weil der Reproduktionsbereich in den Industrieländern zu prekären Arbeitsbedingungen an migrantische Haus- und Pflegearbeiterinnen outgesourct wird. In der Frage nach der Reproduktion liegt aber nicht nur ein Mehrwert für die Analyse von Ungleichheit im Kapitalismus, sondern auch für die eigene politische Praxis. Nur die Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir gesellschaftliche Reproduktion für und in einer befreiten Gesellschaft organisieren wollen, bietet eine Perspektive, die nicht in die Sozialstaatsfalle tappt.
Let`s make sexism history
Und wie sieht es mit der antisexistischen feministischen Praxis im eigenen Sumpf aus? Schließlich blieb auch die marxistische Theorie oft auf dem Geschlechterauge blind. Es war häufig der Ignoranz und Abwehr männlicher Theoretiker geschuldet, dass Geschlechterverhältnisse keinen nachhaltigen Eingang in die marxistische Theoriebildung fanden oder gar als Nebenwidersprüche abgekanzelt wurden. Dieser blinde Fleck zieht sich von Marx bis zur neueren Marxlektüre. Auch unsere antikapitalistischen und antinationalen Interventionen scheitern meist an dem Anspruch, Geschlechterverhältnisse in Theorie und Praxis mitzudenken. Wie also weiter? Der erste Schritt ist die eigentlich altbekannte Erkenntnis, dass unser politisches Engagement nicht jenseits der herrschenden Verhältnisse stattfindet. Wir sind zwar unterschiedlich sozialisiert, aber alle in einer patriarchal geprägten Welt aufgewachsen und somit keineswegs davor gefeit, stereotype Geschlechterbilder durch unser Handeln tagtäglich zu reproduzieren und damit auch zu zementieren.
Die größte Schwierigkeit ist, dass ein solidarischer Reflexionsprozess dieser Herrschaftsmechanismen viel aufreibender, langwieriger und anstrengender ist als eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema. Ein Patentrezept gibt es hier ebenso wenig wie für die Abschaffung des Kapitalismus. Klar ist nur, dass ein Feminismus, dem es ums Ganze geht, auch eine konsequente Reflexion und Transformation der eigenen Inhalte und Praxis braucht. Um eine solche hatte sich etwa die Fantifa-Bewegung in den 90er Jahren bemüht. Die notwendige Auseinandersetzung fängt bei unserem Politik- und Theorieverständnis an, geht über Verhaltensweisen, Habitus und eigene Codes, also über das, was wir als radikalen Ausdruck verstehen und was nicht). Sie muss auch klären, wie wir unsere eigene Reproduktion während unserer politischen Praxis organisieren, und hört beim sogenannten Privatleben noch lange nicht auf.
Eine befreite Gesellschaft muss eben nicht nur ökonomische Zwänge überwinden, sondern auch Rassismus und Sexismus, in welcher Form auch immer. Kommunismus kann nur die Aufhebung aller hierarchischen Arbeitsteilung und aller Formen der Herrschaft von Menschen über Menschen sein. Für dieses Projekt muss an allen Fronten entschieden gekämpft werden. Es geht um nichts Geringeres als um das schöne Leben für alle.
* Wir haben die Begriffe „Frau“ und „Mann“ mit Sternchen* markiert. Wie auch der Gender_Gap soll das Sternchen zugleich darauf hinweisen, dass es unterschiedliche Identitätskonzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit sowie Menschen gibt, die sich nicht in der Zweigeschlechtlichkeit wiederfinden. Zugleich ist Zweigeschlechtlichkeit als soziales Verhältnis wirkmächtig und muss benannt werden. Die Begriffe „Frau“ und „Mann“ bezeichnen nichts Natürliches, sondern sind Positionen in diesem Verhältnis.
Demonstration
8.3.2014 Gesundbrunnen Berlin-Wedding (13Uhr)