{"id":1482,"date":"2013-04-03T16:49:37","date_gmt":"2013-04-03T15:49:37","guid":{"rendered":"http:\/\/www.unwritten-future.org\/?p=1482"},"modified":"2013-11-08T14:01:14","modified_gmt":"2013-11-08T13:01:14","slug":"text-von-der-kritik-der-praxis-zur-praxis-der-kritik","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/text-von-der-kritik-der-praxis-zur-praxis-der-kritik\/","title":{"rendered":"Text: Von der Kritik der Praxis zur Praxis der Kritik"},"content":{"rendered":"
\u201eDie materialistische Lehre, da\u00df die Menschen Produkte der Umst\u00e4nde und der Erziehung, ver\u00e4nderte Menschen also Produkte anderer Umst\u00e4nde und ge\u00e4nderter Erziehung sind, vergi\u00dft, da\u00df die Umst\u00e4nde eben von den Menschen ver\u00e4ndert werden und da\u00df der Erzieher selbst erzogen werden mu\u00df.\u201c<\/em> \u2013 Marx, Thesen \u00fcber Feuerbach.<\/p>\n Vergangenes Jahr ereignete sich im Mai ein Gro\u00dfevent in Frankfurt am Main: 20.000 Menschen kamen zusammen, um ihrem Unmut gegen die europ\u00e4ische Krisenpolitik Ausdruck zu verleihen. Insbesondere ist die Austerit\u00e4tspolitik und die deutsche Hegemonie in Europa Gegenstand der Kritik. Die Versammlung nennt sich Blockupy; dieses Jahr soll es wieder soweit sein. Dann werden vornehmlich b\u00fcrgerliche Linke wie die Linkspartei, Attac, Gewerkschaften und der sonstige antikapitalistische (?) \u201ebunte Haufen\u201c zusammenkommen, um erneut ihr Gl\u00fcck zu versuchen die Aufmerksamkeit der Medien zu erhaschen, das Spektakel zu begehen, in der Hoffnung die Proteste m\u00f6gen sich ausweiten. Wohl zur Verwunderung einiger reiht sich dieses Jahr explizit auch das kommunistische …ums Ganze!-B\u00fcndnis in die Blockupy-Organisation ein. Also dr\u00e4ngt sich die Frage auf, ob denn …ums Ganze! \u2013 mit ihrem Anspruch kategoriale Kapitalismuskritik zu leisten \u2013 begonnen hat auf Irrwegen zu wandern. Ist das so?<\/p>\n <\/p>\n Zun\u00e4chst f\u00fcr die Fans der Ideologiekritik<\/strong><\/p>\n Es gibt keinen Grund zu Illusionen. Auch dieses Jahr wird es vermutlich den ideologisch notwendigen Schein in Form von Zins- und Geldkritik, strukturell antisemitischer Entgegensetzung von Finanz- und Real\u00f6konomie, Bankenbashing und einer personifizierten Kapitalismuskritik usw. geben. Es liegt in der \u201eLogik\u201c der kapitalistischen Produktionsweise, dass den Menschen in ihrem Alltag das in Wert und Geld ausgedr\u00fcckte Abstrakte, also das nicht sinnlich-stofflich Fassbare, mysteri\u00f6s erscheint. Konkret hingegen scheint zu sein, was auf der Oberfl\u00e4che in Erscheinung tritt und das ist es zugleich auch, was im Zentrum der falschen Kritik steht. Ideologiekritik besteht u.a. darin, diesen Zusammenhang aufzudecken. Daher erscheint eine Veranstaltung wie Blockupy reichlich problematisch, gar ablehnenswert. Es scheint so zu sein, als ob eine Beteiligung an Blockupy nur den ohnehin schon gesellschaftlich notwendigen Schein noch verst\u00e4rkt, indem er ihn zus\u00e4tzlich mobilisiert. Hinter dem Oberfl\u00e4chenph\u00e4nomen des Scheins verbirgt sich aber die Tiefenstruktur der Logik des Kapitals. Daher zeigt sich in Blockupy gerade die Zwiesp\u00e4ltigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung: Darin dr\u00fcckt sich zwar Kapitalismuskritik aus, aber doch innerhalb der Kategorien des Kapitalismus. Kaum bis nirgends werden die konstitutiven Kategorien wie Kapital, Wert oder Arbeit in Frage gestellt. Im Gegenteil verbergen sich hinter Blockupy auch reformistische Forderungen an den Staat, die Krise paternalistisch in die Hand zu nehmen.<\/p>\n Im Regelfall ist diese Feststellung f\u00fcr einen guten Teil der radikalen Linken Grund, auf solche Veranstaltungen zu verzichten. Und in der Tat, die Wirklichkeit ist hundsmiserabel \u2013 wer will da schon mit dabei sein? Heutige Praxis steht offenbar vor der Ausweglosigkeit, zur Immanenz der Verh\u00e4ltnisse verdammt zu sein. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn die Praxis in einer schlechten Wirklichkeit wirklich schlecht wird. Schlie\u00dflich verh\u00e4lt sich die radikale Linke nicht blo\u00df gegen die Wirklichkeit, sondern ist Teil derselben. Ob die Praxis aber wirklich schlecht wird, ist erstens eine praktische Frage und zweitens liegt ihre Beantwortung in der Wirklichkeit selbst. Diese Wirklichkeit der theorieradikalen Linken jedenfalls sieht im Normalfall so aus: Es gibt im linksradikalen Dunstkreis eine Kritik, etwa an Reformismus oder strukturell antisemitischer Kapitalismuskritik, die wiederum nur die radikale Linke selbst zur Kenntnis nimmt. Damit verl\u00e4ngert sie nicht nur unfreiwillig ihre gesellschaftliche Ohnmacht, indem sie sich nicht politisch mit der schlechten Wirklichkeit auseinandersetzt, sondern verdammt sich selbst zum tugendhaften Ausharren im Schlechten. Solche abstrakte Kritik bereits f\u00fcr politisch zu halten, w\u00e4re ein Fehlschluss. Hingegen ist es dem …ums Ganze!-B\u00fcndnis immerhin in Teilen gelungen, durch gezielte Beteiligung bereits Einfluss auf Blockupy zu nehmen. So wurde der Aufruf von Blockupy in eine radikalere Richtung verschoben: Formulierungen blo\u00dfer Finanzkritik wurden entfernt, sogar ein Satz gegen Antiziganismus, Rassismus und nicht zuletzt Antisemitismus \u2013 gleich ob von oben oder unten \u2013 fand unter dem Einfluss von …ums Ganze! Eingang. Hier zeigt sich bereits Wirkung.<\/p>\n Dann f\u00fcr die Fans der Praxis<\/strong><\/p>\n Nichtsdestotrotz bleibt eine gewisse Skepsis gegen\u00fcber der Beteiligung an Blockupy. Der Ausgang ist schlie\u00dflich ungewiss \u2013 das aber ist \u00fcberaus trivial. Dann stellt sich die Frage, weshalb die radikale Linke f\u00fcr ein offensichtlich blo\u00dfes Spektakel so viel Zeit investieren sollte. G\u00e4be es nicht Wichtigeres zu tun? Zumal scheint es sich hier einfach nicht um eine kommunistische Veranstaltung zu handeln. Die Kapitalismuskritik sollte schlie\u00dflich in einem kommunistischen Projekt eingebettet sein, das nach Marx und Engels \u201e[…] nicht ein Zustand [ist], der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.” Den Anspruch, der damit an eine kommunistische Praxis gestellt ist, verfehlt einerseits das Lager der Praxisfreunde und andererseits das Lager der Ideologiekritik, wenn auch auf je unterschiedliche Weise. Die einen, weil in ihrer Praxis der Kritik das zentrale Movens kapitalistischer Vergesellschaftung, die Verwertung des Werts, selbst nicht in Frage steht; die anderen, weil ihre Kritik der Praxis sich mit der blo\u00dfen Gewi\u00dfheit begn\u00fcgt, eben diese auf den Begriff gebracht zu haben. So muss Ideologiekritik praktisch werden und Praxis ideologiekritisch. Nach diesen Kriterien geht es in Blockupy in der Tat nicht um Kommunismus. Es sieht zwar nicht nach Aufhebung des status quo aus, doch Blockupy bietet immerhin einen \u00f6ffentlichen Raum f\u00fcr Kapitalismuskritik \u2013 im besten Fall kategoriale. Kommunistische Bewegung w\u00e4re die kategoriale Infragestellung von Kapital, Staat, Nation, Arbeit, Geschlecht u.v.m. Damit diese Bewegung aber wirklich werde, bedarf es der kritischen Einwirkung. Kritik an der Linken bedarf der direkten Konfrontation.<\/p>\n Sicher sind die Zweifel nicht grundlos. Mag es auch sein, dass ein guter Teil von Blockupy f\u00fcr das kommunistische Projekt schlicht als verloren zu gelten hat. Die radikale Linke hat aber nichts zu verlieren, denn sie selbst hat historisch bereits verloren. \u201eKritik im Handgemenge\u201c wird deshalb nicht nur nicht schaden, sondern vermag wom\u00f6glich eine positive Wirkung zu zeigen. Im Zentrum der Blockupy-Veranstaltungen stehen deshalb auch kapitalismuskritische Vortr\u00e4ge und Workshops von …ums Ganze! und artikulieren, neben dem reformistischen, moralinsauren und affektuierten Rauschen \u00fcber den Kapitalismus, eine kategoriale Kapitalismuskritik. Zudem wird es Aktionen gegen den deutschen sowie europ\u00e4ischen Rassismus am Abschiebeflughafen in Frankfurt am Main geben. Nicht zuletzt wird eine kritische Auswertung vom diesj\u00e4hrigen Blockupy den Sinn und Unsinn einer Beteiligung sowie \u00fcberhaupt der Gesamtveranstaltung aufzeigen.<\/p>\n Also…?<\/strong><\/p>\n In Leipzig gibt es im Grunde keine Diskussion um praktische Auseinandersetzung mit oder Intervention in linke Bewegungen. Stattdessen wird in der theorieradikalen Linken gemeinhin das \u201ePrimat der Kritik\u201c postuliert und zur politischen Praxis verkl\u00e4rt. Selbst in diesem Zwiespalt der radikalen Linken stehend, m\u00f6chte also the future is unwritten als Teil des …ums Ganze!-B\u00fcndnisses seine eigene Bef\u00fcrwortung, aber auch Skepsis \u2013 bis hin zur Ablehnung \u2013 reflektieren und deshalb ein Diskussionsangebot unterbreiten: Im Rahmen einer Podiumsdiskussion werden der Autor Justin Monday, ein_e Vertreter_in von …ums Ganze! sowie R\u00fcdiger Mats (the future is unwritten) das Thema kommunistischer Praxis im Allgemeinen und Blockupy im Besonderen diskutieren.<\/a> Diesem Reflexionsprozess ist es letztlich geschuldet, dass wir diese Veranstaltung machen und nicht direkt zu Blockupy mobilisieren.<\/p>\n – the future is unwritten<\/em><\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" \u201eDie materialistische Lehre, da\u00df die Menschen Produkte der Umst\u00e4nde und der Erziehung, ver\u00e4nderte Menschen also Produkte anderer Umst\u00e4nde und ge\u00e4nderter Erziehung sind, vergi\u00dft, da\u00df die Umst\u00e4nde eben von den Menschen ver\u00e4ndert werden und da\u00df der Erzieher selbst erzogen werden mu\u00df.\u201c \u2013 Marx, Thesen \u00fcber Feuerbach. 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