{"id":1886,"date":"2014-07-28T13:15:36","date_gmt":"2014-07-28T12:15:36","guid":{"rendered":"http:\/\/www.unwritten-future.org\/?p=1886"},"modified":"2014-07-28T13:15:36","modified_gmt":"2014-07-28T12:15:36","slug":"redebeitrag-zur-linskradikalen-ersten-mai-demonstration-2014-in-leipzig","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/redebeitrag-zur-linskradikalen-ersten-mai-demonstration-2014-in-leipzig\/","title":{"rendered":"Redebeitrag zur linskradikalen Ersten Mai Demonstration 2014 in Leipzig"},"content":{"rendered":"
\u201eGriechenland trumpft wieder auf\u201c titelte Die Welt Ende M\u00e4rz. Und auch Die Frankfurter Allgemeine verk\u00fcndete Mitte April nicht ohne Stolz auf den eigenen deutschen Beitrag zur Krisenbew\u00e4ltigung \u201e6 Gr\u00fcnde, warum Griechenland wieder hoffen kann\u201c. <\/p>\n
Nehmen wir die Verlautbarungen der Regierungsvertreterinnen und Journalisteninnen ernst und sagen, die Krise des Euroraums scheint sich zaghaft zu beenden. Nehmen wir die Wachstumsprognosen des Internationalen W\u00e4hrungsfonds und der Finanzm\u00e4rkte ernst und behaupten, die griechische Wirtschaft erholt sich.
\nSagen wir, es werden mehr Autos fabriziert, die Tourismusbranche erlebt ein Rekordhoch, Schnellstra\u00dfen werden gebaut und die ersten Staatsanleihen wieder ausgegeben.
\nDann ist die Frage, was die Jubelt\u00f6ne angesichts der sich erholenden Wirtschaft zu bedeuten haben, wenn wir doch davon ausgehen, dass das Funktionieren des kapitalistischen R\u00e4derwerks heute nur noch wenig mit dem Gl\u00fcck der Menschen zu tun hat.<\/p>\n
Und in der Tat: In aller Brutalit\u00e4t hie\u00df es in den letzten Jahren unter anderem gegen\u00fcber Griechenland: Friss oder stirb. Stell dich auf die ver\u00e4nderten Bedingungen der Verwertung ein oder lande in der Gosse und verrecke ohne Krankenversorgung. Das sind die Vorrausetzungen unter denen sich die \u00f6konomischen bedingungen des Euro-Raums erholen. Die EU Troika unter deutscher Hegemonie, aber auch die jeweiligen Regierungen in den Nationalstaaten walteten in den letzteren Jahren als Modernisierungsregime, das den Krisenstaaten die aktualisierten Erfordernisse des Kapitals diktierte; das die Forderungen nach deregulierten Arbeitsverh\u00e4ltnissen, den Abbau von gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechten und den Verfall sozialstaatlicher Garantien diktierte.
\nAls Konsequenz der Krise tritt so die Logik des Kapitals in einer brutalisierten Reinform zu Tage. Das hei\u00dft: Verelendung durch Massenentlassungen, Zwangsr\u00e4umungen und Altersarmut auf der einen Seite, akzeptable Profitraten auf der anderen. Selektion nach Ma\u00dfgabe der Verwertbarkeit.<\/p>\n
Wenn also die Konsequenz der Krise ist, das die Logik der Verwertung mit aller Erbarmungslosigkeit wieder hergestellt wird, muss man sagen: Eine wirkliche Krise des Kapitals als gesellschaftlichem Verh\u00e4ltnis hat nie stattgefunden. M\u00f6gen einzelne Kapitaleigner, National\u00f6konomien oder sogar ganze W\u00e4hrungsr\u00e4ume panisch geworden sein, im Angesicht von Akkumulationsklemmen ihre Waren auf dem Weltmarkt nicht mehr vorteilhaft anbieten zu k\u00f6nnen – die Spielregeln des Kapitals wurde damit nicht gebrochen. Allenfalls war es die Krise unproduktiver Elemente, nicht profitabler Ballast, der ausgesondert werden musste. Allein das ist die normale Systematik kapitalistischer Konkurrenz.<\/p>\n
Und die Agenten dieser Systematik bed\u00fcrfen dabei nicht einmal mehr humanistischer Ideologien um sie zu legitimieren, sondern k\u00f6nnen mit blo\u00dfer Alternativlosigkeit, dem reinen Sachzwang argumentieren.
\nDer Kapitalismus legitimiert sich als offenbar inhumane Zwangsveranstaltung selbst – und st\u00f6\u00dft damit in Deutschland, also dort, wo die Prekarisierung der Lebensverh\u00e4ltnisse als Vorbild f\u00fcr Europa schon mit der Agenda 2010 exerziert wurde, nicht einmal auf geringen Widerstand.<\/p>\n
Die Schikane im Arbeitsamt wird peinlich ber\u00fchrt hingenommen. Der Disziplinierung zur Pflicht am Projekt Deutschland durch Hartz IV begegnen zwar die Wenigsten mit Begeisterung, aber die Meisten mit Apathie und einem notwendigen Mindestma\u00df an Gehorsam.
\nDie Dem\u00fctigung am Arbeitsplatz wird mit Blick auf die Probezeit oder dem latenten Bewusstsein der eigenen \u00dcberfl\u00fcssigkeit erduldet, die zus\u00e4tzliche Doppelbelastung von Frauen im Haushalt scheint als Naturgesetz gegeben.
\nUnd der Burn-Out durchs Studium, durch die Projektarbeit als freier Mitarbeiter und die zus\u00e4tzliche Nebenerwerbst\u00e4tigkeit f\u00fchrt nur selten zum Widerstand, sondern viel eher in die psychischen Beratungsstellen im Campus. Ganz zu schweigen, vom pragmatischen Schund, der einem an der Universit\u00e4t als scharfsinniges Wissen verkauft wird.<\/p>\n
So kommen die konkreten Unrechtserfahrungen, die jeder doch im Alltag erf\u00e4hrt, kaum noch als real ver\u00e4nderbare zu Bewusstsein. Das \u00d6ffentliche wird privatisiert und durch Vereinzelung erleben wir die strukturellen Zw\u00e4nge dieser Gesellschaft als individuelles Unverm\u00f6gen. Auch bei Linksradikalen, die ja die vermeintliche Naturgegebenheit des Kapitals theoretisch durchschaut haben, bleibt das eigene Leben auf eigent\u00fcmliche Weise praktisch entpolitisiert, verdinglicht, nicht ver\u00e4nderbar.<\/p>\n
Genau hier jedoch m\u00fcsste eine emanzipatorische Praxis einsetzen: Bei den eigenen Lebensverh\u00e4ltnisses und der Erkenntnis, dass sie mit dem unw\u00fcrdigen Alltag anderer verkn\u00fcpft sind. Der Ort der Auseinandersetzung mit den Verh\u00e4ltnissen kann nur dort sein, wo wir ihr konkretes Leid erfahren \u2013 und das sind nur bedingt die abgekapselten Szene-Zirkel, in denen Kritik am Kapital heute \u00fcberwintert.<\/p>\n
Ort der Auseinandersetzung k\u00f6nnen zum Beispiel die anstehenden K\u00fcrzungen an s\u00e4chsischen Hochschulen sein. So reformistisch der Protest dagegen belegt ist, auch dort wird die Logik der Verwertung vollzogen.
\nEr kann der Arbeitskampf bei Amazon sein, wo sich Besch\u00e4ftigte seit einem Jahr gegen die Sauereien einer deregulierten Arbeitswelt wehren.
\nUnd er kann, wie wir gesehen haben, der Kampf von Gefl\u00fcchteten gegen den Horror der Abschiebebeh\u00f6rden oder die Verhinderung von Zwangsr\u00e4umungen sein.<\/p>\n
Mag sein, dass dort nicht gleich die Revolution um die Ecke winkt. Mag auch sein, dass man es dort mit der ein oder anderen problematischen Position zu tun bekommt\u2013 ohne praktische Auseinandersetzung mit konkreten Institutionen und Zust\u00e4nden, an denen sich Herrschaft kristallisiert, wird sich aber weder wirkliche Selbsterm\u00e4chtigung einstellen, noch ein solidarischer Suchprozess m\u00f6glich, in dem endlich handfeste Alternativen zu dieser Gesellschaft entwickelt werden k\u00f6nnen.<\/p>\n
Denn eins ist auch klar: Die radikale Linke hat den pragmatischen und deshalb systemst\u00fctzenden Kr\u00e4ften in dieser Gesellschaft nur wenig voraus, wenn sie sich auf das Bilderverbot und die eigene Radikalit\u00e4t zur\u00fcckzieht. Um endlich wirkm\u00e4chtig zu werden, m\u00fcssen wir uns auch damit besch\u00e4ftigen, wie Selbsterm\u00e4chtigung im Hier und Jetzt realistisch durchf\u00fchrbar ist.<\/p>\n
Der Kapitalismus befindet sich nicht in seinen letzten Z\u00fcgen, er steuert auch nicht auf seine letzte Krise zu, er funktioniert ganz hervorragend – und genau das ist der Skandal. Damit er endlich seine Krise erf\u00e4hrt, seinen situativen Wendepunkt, bedarf es des gemeinsamen Handelns politischer Subjekte \u2013 bei allen Schwierigkeiten, M\u00fchen und Unsicherheiten, die das mit sich bringt und vor denen wir uns heute in unseren Szenezusammenh\u00e4ngen fl\u00fcchten.<\/p>\n
Lasst uns die eigene Beschr\u00e4nktheit \u00fcberwinden und endlich praktisch f\u00fcr die befreite Gesellschaft eintreten! F\u00fcr den Kommunismus!<\/p>\n
Und ganz nebenbei: Die anstehende Er\u00f6ffnung der Europ\u00e4ischen Zentralbank im Herbst in Frankfurt k\u00f6nnte ein Ort sein, um bestehende K\u00e4mpfe zu verkn\u00fcpfen und das Einverst\u00e4ndnis zu dieser Gesellschaft zumindest symbolisch aufzuk\u00fcndigen.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
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