{"id":2376,"date":"2016-05-19T19:40:53","date_gmt":"2016-05-19T18:40:53","guid":{"rendered":"http:\/\/www.unwritten-future.org\/?p=2376"},"modified":"2016-05-19T19:40:53","modified_gmt":"2016-05-19T18:40:53","slug":"sarrazins-hetze-und-die-rot-gruene-politik-der-ausgrenzung","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/sarrazins-hetze-und-die-rot-gruene-politik-der-ausgrenzung\/","title":{"rendered":"Sarrazins Hetze und die rot-gr\u00fcne Politik der Ausgrenzung"},"content":{"rendered":"

Die folgende Rede hielten wir am 19. Mai 2016 bei der Kundgebung gegen den Auftritt von Thilo Sarrazin in der Alten Handelsb\u00f6rse in Leipzig. Zu der Kundgebung aufgerufen hatte die Gruppe Rassismus T\u00f6tet – Leipzig<\/a>.<\/em><\/p>\n

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Zuh\u00f6rerinnen und Zuh\u00f6rer,<\/p>\n

wir sind hier, um gegen den Auftritt der SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin zu demonstrieren. Sarrazin, der sich durch das Ansto\u00dfen der so genannten “Sarrazin-Debatte” in das kollektive Ged\u00e4chtnis der bundesdeutschen \u00d6ffentlichkeit eingebrannt hat. Sarrazin, der 2009 in die Schlagzeilen geriet, als er in einem Interview in Lettre International hetzte: “Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, f\u00fcr die Ausbildung seiner Kinder nicht vern\u00fcnftig sorgt und st\u00e4ndig neue kleine Kopftuchm\u00e4dchen produziert. Das gilt f\u00fcr 70 Prozent der t\u00fcrkischen und 90 Prozent der arabischen Bev\u00f6lkerung in Berlin.” Sarrazin, der daf\u00fcr Applaus von Helmut Schmidt \u00fcber Hans-Olaf Henkel bis hin zum NPD-Landtagsabgeordneten Andreas Storr erhielt. Sarrazin, der 2010 in seinem Buch “Deutschland schafft sich ab”, die These aufstellte, in Deutschland w\u00fcrde die Bev\u00f6lkerung ausgetauscht \u2013 zu Gunsten einer aus genetischen Gr\u00fcnden weniger intelligenten, arabisch-muslimischen Bev\u00f6lkerung. Wir demonstrieren hier gegen Thilo Sarrazin, der sich nicht zu schade daf\u00fcr war, in einem Interview mit der Berliner Morgenpost \u00fcber ein vermeintlich existierendes “Juden-Gen” zu sinnieren.<\/p>\n

Wir demonstrieren hier gegen Thilo Sarrazin, der im Jahr 2013 an J\u00fcrgern Els\u00e4ssers rechten Compact-Kongress teilgenommen hatte, ist in der Tat eine besonders interessante Figur. Bei ihm handelt es sich nicht um einen AfD-Politiker, auch nicht um einen ehemaligen Linken oder CDUler, der nun zu den Nazis \u00fcbergelaufen w\u00e4re. Nein, Sarrazin ist nach wie vor Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Und er ist nicht irgendein Mitglied. Immerhin war er von 2002 bis 2009 Finanzsenator unter der von SPD und Linkspartei gef\u00fchrten Berliner Landesregierung! Und schon in dieser Zeit fiel er durch reaktion\u00e4re, sozialdarwinistische Ausf\u00e4lle auf. So erstellte er eine Tabelle, in der er nachzuweisen versuchte, dass es problemlos m\u00f6glich sei, dass Hartz-IV-Empf\u00e4nger_innen sich mit weniger als vier Euro t\u00e4glich ern\u00e4hren k\u00f6nnten. \u00dcberdies seien Menschen, die Hartz IV beziehen, nicht in der Lage, vern\u00fcnftig zu heizen und seien somit selbst schuld, wenn sie im Winter fr\u00f6ren. Diese menschenverachtende Hetze f\u00fchrte keinesfalls zu Sarrazins Ende als Finanzsenator im rot-roten Berliner Senat. Vielmehr f\u00fchrte Sarrazin ab 2009 seine Karriere als Chef der Bundesbank fort, eine Karriere, die erst nach wiederholten rassistischen \u00c4u\u00dferungen ein Ende fand. Und selbst nach seinem v\u00f6lkisch-rassistischen Buch “Deutschland schafft sich ab”, entschied die zust\u00e4ndige Parteischiedskommission, Sarrazin nicht aus der SPD auszuschlie\u00dfen. Eine Entscheidung, die unter anderem vom heutigen SPD-Bundesau\u00dfenminister Steinmeier \u00f6ffentlich begr\u00fc\u00dft wurde. Und wenn heute Thilo Sarrazin auf Einladung der Mittelstandsvereinigung, gemeinsam mit CDU und LVZ, auf der B\u00fchne steht, so zeigt das: er ist kein Nazi, kein politischer Au\u00dfenseiter, er ist einfach nur ein respektierter Vertreter der b\u00fcrgerlichen Mitte mit einem besonderen Hang den v\u00f6lkischen Rassismus \u00f6ffentlich kundzutun.<\/p>\n

Das alles sind Fakten, die vielen von euch ohnehin bekannt sein d\u00fcrften. Wir z\u00e4hlen sie erneut auf, um zu zeigen, dass der Sarrazin-Auftritt in Leipzig kein politischer Skandal ist. Er ist Ausdruck des rassistischen Normalbetriebs der \u00f6ffentlichen Debatte in der BRD. Und gegen einen Bj\u00f6rn H\u00f6cke oder einen Horst Seehofer, der das Abendlang “bis zur letzten Patrone” vor Fl\u00fcchtenden verteidigen will, erscheint Sarrazin doch wahrlich wie der nette wenn auch leicht skurrile Geschichtenonkel von neben an. Doch so skurril ist Sarrazin eben nicht. Seine sozialdarwinistische Hetze gegen Erwerbslose baut auf die rigorose Sozialabbau-Politik durch die rot-gr\u00fcne Bundesregierung unter Gerhard Schr\u00f6der auf. Es waren SPD und Gr\u00fcne, die Millionen von Menschen in die Armut trieben, einen neuen Niedriglohnsektor schafften und den Sozialstaat zu einer Tretm\u00fchle umbauten, in der nur flei\u00dfigen, flexiblen und unterw\u00fcrfigen Untertanen die Menschenw\u00fcrde nicht abgesprochen wird. Und in Berlin trug DIE LINKE diese menschenverachtende Politik in den Zeiten des rot-roten Senates mit. Und auch Sarrazins Rassismus ist nicht weit entfernt von den Positionen seiner Partei. Bereits 1993 war die SPD mitverantwortlich f\u00fcr de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Der Vordenker der so genannten Drittstaatenregelung, die er der BRD erlaubt, jeden wieder auszuweisen, der_die \u00fcber einen so genannten “sicheren Drittstaat” eingereist ist, war \u00fcbrigens der sp\u00e4tere Linkspartei-Vorsitzende Oskar Lafontaine. Und in der gro\u00dfen Koalition mit der CDU betreibt die SPD wieder eine rassistische Politk der Asylrechtsversch\u00e4rfungen. Mit den Asylpaketen I und II der Jahre 2015 und 2016 wurden unter anderem Bargeldzahlungen durch Sachleistungen ersetzt, Albanien, Kosovo, Montenegro, Marokko, Algerien und Tunesien als “sichere Herkunftsstaaten” eingestuft, der Familiennachzug ausgesetzt, die Abschiebung erkrankter Gefl\u00fcchteter erleichtert und viele Angriffe auf die Menschenw\u00fcrde mehr. In vorauseilendem Gehorsam gegen\u00fcber dem v\u00f6lkischen Mob und das Ziel vor Augen, den Standort Deutschland \u00f6konomisch konkurrenzf\u00e4hig zu halten, hat die SPD zusammen mit anderen das Asylrecht in der BRD quasi zertr\u00fcmmert. Das Selbstbild des Sozialstaats ist durch Agenda 2010, die Asylrechts\u00e4nderung von ’93 und die Asylpaketen I und II zu einer sozialpolitischen Farce geworden. Die reproduktiven T\u00e4tigkeiten werden zunehmend privatisiert, im Rahmen patriarchaler Verh\u00e4ltnisse Frauen aufgelastet und\/oder mehr schlecht als recht \u00fcber ehrenamtliches Engagement organisiert. Nur nebenbei bemerkt: die \u00fcberwiegende Mehrheit der Fraktion B\u00fcndnis 90\/DIE GR\u00dcNEN enthielt sich im Bundestag bei der Abstimmung \u00fcber das Asylpaket I. Und ohne die Zustimmung durch die gr\u00fcn-rote Landesregierung Baden-W\u00fcrttembergs unter Winfried Kretschmann w\u00e4re das Asylpaket I im Bundesrat gescheitert. Und auch dem noch brutaleren Asylpaket II stimmte Kretschmanns Regierung im Bundesrat zu.<\/p>\n

Und genau deswegen demonstrieren wir hier heute nicht einfach nur gegen einen aus der Rolle gefallenen rassistischen M\u00e4rchenonkel, der mal SPD-Senator in Berlin war. Wir demonstrieren gegen die neoliberal gewendeten ex-Linken, die als rot-gr\u00fcne Politiker_innen die kapitalistischen Zw\u00e4nge in konkrete, menschenverachtende Politik umsetzen. Wir als radikale Linke wollen Rassismus und Faschismus an der Wurzel packen und ihre Ursachen beseitigen. Wir wollen die Abschaffung der auf Konkurrenz und Ausbeutung basierenden kapitalistischen Vergesellschaftungsweise. Wir wollen die \u00dcberwindung des Nationalstaats, der seit dem Beginn seiner globalen Verbreitung mit Abschottung, Repression und Krieg die Welt in ein Schlachtfeld verwandelt. Dazu ben\u00f6tigen wir B\u00fcndnisse. B\u00fcndnisse mit k\u00e4mpfenden Arbeiter_innen, denen die zynische DGB-Politik der Sozialpartnerschaft nicht genug ist. Mit Erwerbslosen, die nicht akzeptieren wollen B\u00fcrger_innen 2. Klasse zu sein. Mit Gefl\u00fcchteten, die um ihre Rechte auf Bewegungsfreiheit, \u00dcberleben und Teilhabe k\u00e4mpfen. Ob als Arbeiter_innen, Studierende, Frauen, psychisch Kranke oder sonst wie vom Kapitalismus gebeutelte Menschen: wichtig ist unser gemeinsamer und solidarischer Widerstand und dass wir unsere K\u00e4mpfe aufeinander beziehen. Was wir nicht wollen ist eine Zusammenarbeit mit staatstragenden Akteur_innen. Wenn die Jugendorganisationen von SPD und Gr\u00fcnen heute gegen den Rechtsabweichler Sarrazin protestieren, f\u00e4llt es uns schwer, ihre Emp\u00f6rung ernst zu nehmen. Bevor wir gemeinsam mit ihnen auf die Stra\u00dfe gehen fehlt noch ein Schritt: der Bruch mit der Partei! So lange werden wir auch ohne sie k\u00e4mpfen, selbstorganisiert, antinational und solidarisch.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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