{"id":2424,"date":"2016-07-04T23:56:30","date_gmt":"2016-07-04T22:56:30","guid":{"rendered":"http:\/\/www.unwritten-future.org\/?p=2424"},"modified":"2016-07-04T23:56:30","modified_gmt":"2016-07-04T22:56:30","slug":"rede-voelkischer-nationalismus-und-rechter-vormarsch","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/rede-voelkischer-nationalismus-und-rechter-vormarsch\/","title":{"rendered":"Rede: V\u00f6lkischer Nationalismus und rechter Vormarsch"},"content":{"rendered":"
Folgende Rede hielten wir am 4. Juli 2016 bei der antifaschistischen Demonstration “a monday without you”.<\/em><\/p>\n Liebe Freund_innen und Genoss_innen, liebe Menschen in Leipzig,<\/p>\n in unsere Rede besch\u00e4ftigen wir uns mit dem Themenkomplex des v\u00f6lkischen Nationalismus in Zusammenhang mit dem j\u00fcngsten Rechtsruck in der Bundesrepublik Deutschland. An der Stelle, wo in Zukunft das Denkmal f\u00fcr die sogenannte \u201cdeutsche Einheit\u201d stehen soll und aktuell die Fu\u00dfball-Fanmeile anl\u00e4sslich der Europameisterschaft aufgebaut ist, zwingen uns die gegenw\u00e4rtigen Verh\u00e4ltnisse uns mit den Ursachen f\u00fcr Hetze, Menschenjagd und Ausgrenzung auseinanderzusetzen.<\/p>\n Im Zusammenhang mit dem geplanten Einheitsdenkmal wird unkritisch der Einheit eines ehemals geteilten Deutschlands gedacht, ohne sich mit dem damit einhergehenden Erstarken nationalistischer und v\u00f6lkischer Strukturen auseinanderzusetzen. Das Gedenken an die Wiedervereinigung ist schlussendlich eine Lobrede, auf das Erstarken eines geeinten Nationalbewusstseins, welches rassistisches, ausgrenzendes und nationalistisches Verhalten f\u00f6rdert, legitimiert und dabei die Reflexion des eigenen Standpunktes vermissen l\u00e4sst. Ein \u00e4hnliches Ph\u00e4nomen, welches aktuell auch im Kontext der EM zu beobachten ist. Hier bietet sich mal wieder eine M\u00f6glichkeit, das eigene nationalistische Gedankengut ungebremst und unreflektiert nach au\u00dfen zu tragen. Das Schwenken der Nationalfahne l\u00e4sst sich als klare Zustimmung zum Nationalismus werten und muss kontinuierlich angegriffen werden. W\u00e4hrend die Party-Patrioten wieder einpacken, ist es anderen Teilen der Bev\u00f6lkerung durchaus ernster mit der nationalistischen Sache. Seit Ende des Jahres 2014 l\u00e4sst sich eine nicht abebbende Welle an rassistischen Mobilisierungen feststellen.<\/p>\n Eine ideologische Klammer zwischen Teilen der b\u00fcrgerlichen Mitte und rassistischen Mobilisierungen ist ein spezifisch v\u00f6lkischer Nationalismus. Das macht es notwendig einige Worte zum Zusammenhang der Vorstellungen von Volk und Nation mit der kapitalistischen Vergesellschaftung zu verlieren. Als Kapitalismus verstehen wir eine Art und Weise der Vergesellschaftung \u2013 also der Herstellung von Gesellschaft \u2013 die \u00fcber den universellen Tausch von Waren vermittelt ist. Produktion findet statt, um die Produkte auf dem Markt zu verkaufen und damit einen Mehrwert zu erzielen. Sie findet in Konkurrenz zu einander statt und trennt diejenigen, die ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen m\u00fcssen, um zu \u00fcberleben und diejenigen, die Privatbesitz an Produktionsmitteln haben und somit Arbeitskraft einkaufen und Profite erzielen k\u00f6nnen, voneinander. Herrschaft und Konkurrenz sind strukturell im Kapitalverh\u00e4ltnis angelegt. Das gleiche Verh\u00e4ltnis, das die Individuen miteinander verbindet, sie zu Teilnehmer_innen eines gemeinsamen Marktes macht, trennt sie auch. Es trennt sie formanalytisch in Kapitalist_innen und Proletarier_innen und \u2013 viel wichtiger \u2013 es trennt sie in Konkurrenzsubjekte, die gegeneinander darum streiten, wer sein eigenes Produkt am billigsten anbieten kann.<\/p>\n An dieser Stelle kommen Volk und Nationalstaat ins Spiel. Der Staat als \u201cideeller Gesamtkapitalist\u201d, um es mit Engels zu sagen, sorgt daf\u00fcr dass die universelle Konkurrenz in geordneten Bahnen abl\u00e4uft und die infrastrukturellen Bedingungen f\u00fcr eine Fortf\u00fchrung der Konkurrenz gegeben sind. Dazu z\u00e4hlen etwa Verkehr, Sozialsysteme, Gesundheitsversorgung, Arbeitsschutz und auch die Cops. Die Nation gibt dem Staat eine ideologische Legitimation, die \u00fcber das Funktionale hinaus geht. Sie ist eine vorgestellte Gemeinschaft, die den Kampf ums eigene \u00dcberleben auf dem Markt als Dienst am gesellschaftlichen Ganzen erscheinen l\u00e4sst. \u00dcber die Identifikation mit der Nation kann sich das Individuum mit dem gesellschaftlichen Ganzen identifizieren, ohne dabei dieses als Ursache von Konkurrenz und Arbeitsleid ausmachen zu m\u00fcssen. Die Nation als Schicksalsgemeinschaft umfasst das Volk als ihre Angeh\u00f6rigen. Das Konzept Volk ist in Deutschland als quasi-nat\u00fcrliches gedacht. \u00dcber den Zusammenhang gemeinsamer Gene, einer gemeinsamen \u201cKultur\u201d und der gemeinsamen Sprache wird eine den sozialen Verh\u00e4ltnissen vermeintlich vorgeordnete Abstammungsgemeinschaft imaginiert. Dabei wird nicht nur der eigene gewaltf\u00f6rmige Herrschaftszusammenhang legitimiert, es wird auch ein vermeintliches Anderes konstruiert, das auf Basis anderer Normen und Werte die eigene Lebensweise bedrohe. Das Andere darf immer wieder als Erkl\u00e4rung f\u00fcr Ersch\u00fctterungen der eigenen sozialen Verh\u00e4ltnisse herhalten. Sei es die antisemitische Projektion der \u00f6konomischen Krise auf manipulative T\u00e4tigkeiten des \u201crazziierenden\u201d (Adolf Wahrmund) Judentums, oder sei es die antimuslimische Hetze als Antwort auf postmoderne Krisenideologien wie Jihadismus, Terrorismus und Staatszerfall in Folge der globalen Krise des Kapitalismus.<\/p>\n Und genau mit diesem ideologischen Zusammenhang sind wir aktuell konfrontiert. V\u00f6lkisches Denken, Rassismus und Nationalismus sind keineswegs neu im deutschen Nationalstaat, wie hinl\u00e4nglich bekannt sein d\u00fcrfte. W\u00e4hrend in der kapitalistischen Peripherie Armut, Staatszerfall und die fundamentalistischen Krisenideologien die Menschen zwingen unter Lebensgefahr nach Europa zu fliehen, richtet sich der Hass der selbst ernannten deutschen \u201cVolksgemeinschaft\u201d auf genau diese Menschen. \u201cIslamische Invasoren\u201d seien sie, \u201cSozialschmarotzer\u201d, die es auf Hartz-IV und \u201cunsere Frauen\u201d abgesehen h\u00e4tten. Deutschland hat die globale Krise des Kapitalismus als eines der ganz wenigen L\u00e4nder bislang \u00f6konomisch relativ unbeschadet \u00fcberstanden. Und das vor allem aus einem Grund: weil im \u2013 strukturell v\u00f6lkischen \u2013 B\u00fcndnis zwischen Gewerkschaften und Kapital die L\u00f6hne immer wieder gedr\u00fcckt und andere \u201cStandorte\u201d gnadenlos nieder konkurriert wurden. Und w\u00e4hrend man sich selbst widerstandslos in das eigene Arbeitsleid f\u00fcgt, projiziert man den Schmerz nicht auf die Verh\u00e4ltnisse, die ihn anrichten, sondern auf die \u201eAnderen\u201c, die \u201eausl\u00e4ndischen\u201c Konkurrent_innen. Und je deutlicher der globale Kapitalismus an seine Grenzen st\u00f6\u00dft, desto mehr projizieren \u201cselbstbewusste Volksgenoss_innen\u201d dessen Krisenerscheinungen auf die vermeintliche \u201ckulturelle Andersartigkeit\u201d derjenigen Menschen, die am schlimmsten unter diesen Krisenerscheinungen zu leiden haben. Je brutaler die soziale und \u00f6konomische Perspektivlosigkeit die kapitalistischen Konkurrenzsubjekte beutelt, desto verzweifelter halten sie an der identit\u00e4ren Selbstzuschreibung als Mitglieder nationaler und kultureller Kollektive fest.<\/p>\n In was f\u00fcr einer zutiefst v\u00f6lkischen Gesellschaft wir leben, f\u00e4llt in vielen Punkten auf, die Deutschland von anderen Nationen unterscheidet. Ein Beispiel ist die Vergabe der Staatsb\u00fcrgerschaft nach dem ius sanguinis, dem \u201eRecht des Blutes\u201c, und nicht nach dem Geburtsortprinzip, welches beispielsweise in den USA angewendet wird. Eine Reform des Staatsangeh\u00f6rigkeitsrechts verpasste 2000 die Gelegenheit, eine Abschmelzung rassistisch-v\u00f6lkischer Amalgame von Recht und Biologie durchzusetzen. So wurde verhindert, dass man in Deutschland ohne Weiteres eine doppelte Staatsb\u00fcrgerschaft bekommen kann, auch wenn die Einb\u00fcrgerung als solche erm\u00f6glicht wurde. Die aktuellen Asylgesetzversch\u00e4rfungen in Verantwortung von SPD, CDU & Gr\u00fcnen zeigen, dass auch bei den sogenannten \u201eParteien der Mitte\u201c ein R\u00fcckfall in die 90\u2019er zu verzeichnen ist. Weitere Akteur_innen, die wir hier bewusst nennen m\u00f6chten, sind Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine von der Partei \u201eDie Linke\u201c. Sahra Wagenknecht spricht von einer \u201eGrenze der Aufnahmebereitschaft in der Bev\u00f6lkerung\u201c sowie von der M\u00f6glichkeit das \u201eGastrecht zu verwirken\u201c. Oskar Lafontaine reproduziert das Stigma der \u201eFremdarbeiter\u201c, die den \u201edeutschen Familienv\u00e4tern\u201c die Arbeitspl\u00e4tze wegnehmen w\u00fcrden. Beide Aussagen sind weitere Paradebeispiele dieses nationalistischen Konstrukts. Dieser Rechtsruck der b\u00fcrgerliche Mitte gewinnt auch dadurch an Relevanz, dass Parteien wie die AfD gerade nach den j\u00fcngsten Wahlerfolgen und dem damit verbundenen Einzug in den Landtag auch auf der parteipolitischen Ebene eine Basis f\u00fcr rechte Strukturen und Ideologien schaffen. Wie problematisch das Ganze ist, sollte sp\u00e4testens durch die Vernetzung der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt mit der dort ans\u00e4ssigen Identit\u00e4ren Bewegung deutlich werden.<\/p>\n In der letzten Zeit ist in Bezug auf das Erstarken rechter Parteien und Vereinigungen in den Medien des \u00d6fteren der Begriff \u201eRechtsruck\u201c gefallen. Die mit einem tats\u00e4chlichen Rechtsruck einhergehende politische Meinungs\u00e4nderung fand in dem Sinne aber nie wirklich statt. Eher waren j\u00fcngere Ereignisse wie die sog. \u201eAsylkrise\u201c ein Ausl\u00f6ser um schon vorhandenes rechtes Gedankengut zu festigen und zum Ausdruck zu bringen.<\/p>\n Legida\/Pegida & Co. stellen sich im Osten, gemeinsam mit \u201eNein zum Heim\u201c-Demos und \u00e4hnlichen Konsorten, nicht nur als nationalistischer B\u00fcrgerprotest auf, sie sind in der Tendenz auch als nationalsozialistisch zu bezeichnen. Dies macht sich prim\u00e4r in dem inhaltlichen Fokus der Bewegungen bemerkbar, welcher deutliche Parallelen in der Themenwahl aufweist. So spielen Werte wie Familie, Volk und Nationalstolz immer wieder eine herausragende Rolle. Alles was vom klassischen Bild der Familie und dem nationalistischen Weltbild abweicht, wird in das Feindbild eingegliedert und stellt eine Bedrohung f\u00fcr die eigene Identit\u00e4t dar. Immer wieder f\u00e4llt Legida auch durch antisemitische \u00c4u\u00dferungen wie beispielsweise am 20.1.2015 auf, wo vermehrt \u201eJuden raus\u201c-Rufe zu vernehmen waren. Auch ein Plakat mit der Aufschrift \u201eSchlu\u00df mit der L\u00fcgenpolitik der Synagoge Satans\u201c war zu sehen. Wir akzeptieren diesen v\u00f6lkisch-nationalistischen Mob nicht als Normalzustand und werden uns ihm immer wieder entschlossen entgegenstellen. Legida, AfD und anderen Rassist_innen darf keine B\u00fchne geboten werden! Nieder mit dem nationalistischen Konsens! Rassistische Strukturen aufdecken! Und immer wieder f\u00fcr einen Monday without you!<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Folgende Rede hielten wir am 4. Juli 2016 bei der antifaschistischen Demonstration “a monday without you”. Liebe Freund_innen und Genoss_innen, liebe Menschen in Leipzig, in unsere Rede besch\u00e4ftigen wir uns mit dem Themenkomplex des v\u00f6lkischen Nationalismus in Zusammenhang mit dem j\u00fcngsten Rechtsruck in der Bundesrepublik Deutschland. 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\nDiese Bestrebungen den deutschen Patriotismus von einem nationalistisch-v\u00f6lkischen Patriotismus zu einem verfassungstreuen Patriotismus zu verwandeln gingen von Parteien wie den Gr\u00fcnen und der SPD aus und trugen, davon abgesehen, dass sie scheiterten, eher zu einer Erg\u00e4nzung und Best\u00e4rkung nationalem Gedankenguts bei.<\/p>\n
\nDie desastr\u00f6sen Gesetzesversch\u00e4rfungen sind nicht nur ein Todesurteil f\u00fcr viele Fl\u00fcchtende, sie tragen auch dazu bei, nationalistisches Gedankengut in der breiten Gesellschaft zu festigen und somit rassistische Praxis auf der Stra\u00dfe zu legitimieren. Wer sich vorher wohl eher im b\u00fcrgerlichen Teil der Gesellschaft gew\u00e4hnt hat, steht schnell mit Legida & Co. auf der Stra\u00dfe, wenn die eigene nationalistische Praxis durch Parteipolitik von SPD, CDU & Gr\u00fcnen legitimiert wird.<\/p>\n
\nDurch eben diese nationalistischen Protestbewegungen findet, gemeinsam mit der AfD weiterhin eine Neulegitimierung von rechten Parolen und Aktionen statt. Auch wenn nicht alle selbst eine Zwangsunterkunft f\u00fcr Gefl\u00fcchtete anz\u00fcnden w\u00fcrden, w\u00fcrde kaum eine_r nicht applaudieren.<\/p>\n