{"id":2691,"date":"2018-02-22T09:22:29","date_gmt":"2018-02-22T08:22:29","guid":{"rendered":"http:\/\/www.unwritten-future.org\/?p=2691"},"modified":"2018-02-22T09:24:24","modified_gmt":"2018-02-22T08:24:24","slug":"meinungsfreiheit-fuer-nazis","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.unwritten-future.org\/index.php\/meinungsfreiheit-fuer-nazis\/","title":{"rendered":"Meinungsfreiheit f\u00fcr Nazis?"},"content":{"rendered":"

Theoretische \u00dcberlegungen zum praktischen Vorgehen gegen rechte St\u00e4nde auf der (Leipziger) Buchmesse<\/strong><\/p>\n

Die teils handfesten Auseinandersetzungen um die St\u00e4nde rechter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse lassen ahnen, was aller Voraussicht nach auf der Leipziger Buchmesse vom 15. bis zum 18. M\u00e4rz 2018 los sein wird. Bereits jetzt ist klar: die Buchmesse hat vor den rassistischen Verlagen \u00bbAntaios\u00ab und \u00bbJunge Freiheit\u00ab St\u00e4nde zu gew\u00e4hren. Weiterhin gibt es das Potenzial f\u00fcr einen massiven antifaschistischen Widerstand \u2013 und wir freuen uns darauf, dass Leipziger Antifaschist_innen ihre M\u00f6glichkeiten aussch\u00f6pfen werden. Ziel antifaschistischer Praxis muss es sein, Rechten die B\u00fchne zu verwehren und den Veranstalter_innen der Buchmesse praktische Anreize zu geben, die rassistischen Fans patriarchal-autorit\u00e4rer Zust\u00e4nde beim n\u00e4chsten Mal nicht mehr einzuladen.<\/p>\n

Aus den Erfahrungen um erfolgreiche antifaschistische Interventionen gegen die Normalisierung rechter Positionen in der \u00d6ffentlichkeit ziehen wir den Schluss, dass auch rund um die Leipziger Buchmesse eine Debatte um das Thema Meinungsfreiheit f\u00fcr Nazis nicht ausbleiben wird. So war es als unsere K\u00f6lner Genoss_innen den Auftritt von Konrad Adam (AfD) beim Birlikte-Festival verhinderten und so war es, nachdem Antifaschist_innen die rechte Show auf der j\u00fcngsten Frankfurter Buchmesse erheblich st\u00f6rten. Eine hoffentlich wirksame antifaschistische Intervention auf der Buchmesse in Leipzig w\u00fcrde in der lokalen \u00d6ffentlichkeit vermutlich Reaktionen wie die des Autors und ex-Verlegers Ernst Piper hervorrufen. Dieser tat in der \u00bbWELT\u00ab kund, dass solange rechte Verlage \u201esich im Rahmen unserer Gesetze bewegen\u201c, der Kampf gegen sie einer sei, \u201eder mit geistigen Waffen auszufechten ist.\u201c Denn, so Piper:<\/p>\n

\u201eDas gesprochene wie das geschriebene Wort, seine Verbreitung und alles, was damit zu tun hat, der herstellende wie der verbreitende Buchhandel, sind untrennbar mit der Freiheit der Meinungs\u00e4u\u00dferung und dem Kampf f\u00fcr die Verteidigung dieser Freiheit verbunden. Und die Freiheit der Meinungs\u00e4u\u00dferung gilt eben nicht nur f\u00fcr Meinungen, die uns sympathisch sind.\u201c \u2013 Ernst Piper: Meinungsfreiheit gilt auch f\u00fcr unsympathische Meinungen, am 16.10.2017 in der \u00bbWELT\u00ab<\/p><\/blockquote>\n

Positionen wie diesen haben in der letzten Ausgabe des Antifaschistischen Infoblattes Alice Blum, Maximilian Pichl und Tom David Uhlig entgegengehalten, dass die Frage der St\u00f6rung rechter St\u00e4nde auf Buchmessen \u201ekeine Frage der Meinungsfreiheit\u201c sei. \u00d6ffentliche Debatten, so die Autor_innen, seien ohnehin herrschaftsf\u00f6rmig und w\u00fcrden bestimmte Bev\u00f6lkerungsgruppen strukturell benachteiligen. Dementsprechend sei es verkehrt zu fordern, dass rechte Positionen \u2013 also Positionen, die einem privilegierten Teil der Bev\u00f6lkerung nutzen \u2013 \u201e\u00f6ffentlich mehr Geh\u00f6r finden m\u00fcssten\u201c. Mit Rechten zu diskutieren sei \u00fcberdies als Strategie von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn:<\/p>\n

\u201eEinerlei, ob Akteur*innen der Neuen Rechten sich \u00f6ffentlich blamieren, indem ihnen die Argumente ausgehen oder sie sachlich widerlegt werden, ihre Propaganda unterbreitet ein affektives Angebot, welches sich um Fragen der logischen Widerspruchsfreiheit etc. gar nicht zu scheren braucht. Eine logische Widerlegung von rechten Akteuren l\u00e4uft ins Leere, denn ihr Ziel besteht darin, Ressentiments ausbreiten zu k\u00f6nnen.\u201c \u2013 Alice Blum, Maximilian Pichl und Tom David Uhlig: Rechte reden lassen?, in AIB 117\/Winter 2017<\/p><\/blockquote>\n

Wir stimmen der Analyse der Autor_innen im Ergebnis zu: es ist politisch falsch mit Nazis (und anderen Rechten) zu diskutieren. Wir haben nicht das geringste Mitleid, wenn sie von herrschaftsf\u00f6rmigen Diskursen profitieren und sich dabei noch als Opfer linken Gesinnungsterrors inszenieren. Und dass mit ihnen auf einer rationalen Ebene nicht zu reden ist, k\u00f6nnte nicht offensichtlicher sein. Doch in einem Punkt \u2013 und diesen halten wir f\u00fcr essentiell \u2013 m\u00f6chten wir den Genoss_innen entschieden widersprechen: in der Tat ist die Frage von antifaschistischen Interventionen gegen rechte Infost\u00e4nde\/Kundgebungen\/Aufm\u00e4rsche eine Frage der Meinungsfreiheit. Wir denken, dass Ernst Piper Recht hat, wenn er sagt, dass Meinungsfreiheit \u201eauch f\u00fcr unsympathische Meinungen\u201c gilt. Und wir stehen hinter dem Prinzip der Meinungsfreiheit. Eine befreite Gesellschaft ohne Meinungsfreiheit w\u00e4re nicht befreit. \u00dcberdies w\u00e4re eine radikale Selbstorganisation von Institutionen und \u00d6konomie von unten ohne die freie Debatte nicht zu bewerkstelligen. Und dennoch finden wir es richtig, rechte Infost\u00e4nde abzur\u00e4umen. Wie wir diese Auffassung begr\u00fcnden, warum wir sie f\u00fcr wichtig halten und was aus unserer Sicht daraus folgt, wollen wir im Folgenden darstellen.<\/p>\n

\"\"Ziehen wir noch einmal Blums, Pichls und Uhiligs Argument heran, mit Rechten zu diskutieren sei sinnlos, weil ihre Ideologie ohnehin auf irrationalen Grundannahmen basiere. Wie erw\u00e4hnt halten wir das f\u00fcr eine absolut richtige inhaltliche Einsch\u00e4tzung. Problematisch ist jedoch, dass sie diesen Schluss auf die Ebene der Meinungsfreiheit \u00fcbertragen: \u201eDabei garantiert Meinungsfreiheit nicht, dass jede extrem rechte Propaganda \u00fcberall und ungest\u00f6rt verbreitet werden darf\u201c. Sehen wir mal davon ab, dass eigentlich noch genauer zu kl\u00e4ren w\u00e4re, was \u201eungest\u00f6rt\u201c an dieser Stelle bedeuten soll. Unser haupts\u00e4chliches Problem mit dieser Aussage ist, dass es f\u00fcr die Meinungsfreiheit als formale Bestimmung f\u00fcr die \u00f6ffentliche Debatte grunds\u00e4tzlich keine Rolle spielen kann, ob es sich bei einer bestimmten Meinung um \u201eextrem rechte Propaganda\u201c handelt. Meinungsfreiheit bedeutet gerade, dass grunds\u00e4tzlich aus dem Inhalt einer Meinung nicht abgeleitet werden darf, ob es erlaubt ist, sie zu \u00e4u\u00dfern oder nicht.<\/p>\n

Es gibt zahlreiche gute Gr\u00fcnde daf\u00fcr, dass dieses Prinzip aufrechterhalten bleibt: zum Beispiel die Frage, wer denn entscheiden solle, welche Meinung ge\u00e4u\u00dfert werden darf und welche nicht. Oder die Frage der Abgrenzung: wenn faschistische oder nationalsozialistische Meinungs\u00e4u\u00dferungen verboten werden w\u00fcrden \u2013 auf welcher Grundlage werden dann rechtskonservative erlaubt? Im Zweifelsfall w\u00fcrde eine solche Abgrenzung den nicht-verbotenen Meinungen eine gesellschaftliche Legitimit\u00e4t verleihen, die sie eigentlich nicht haben. Kontinuit\u00e4ten wie etwa die zwischen Faschismus und Konservatismus, Arbeitsethos und Sozialrassismus, Zinskritik und Antisemitismus w\u00fcrden auf diese Weise in der Debatte schwer erkenntlich.<\/p>\n

Die argumentativen Versuche der AIB-Autor_innen eine Form der Meinungsfreiheit zu konstruieren, die es Antifaschist_innen erlaubt rechte Infost\u00e4nde und Versammlungen zu verhindern, m\u00fcssen scheitern. Wenn sie argumentieren, die \u201eMeinungsfreiheit ist ein Grundrecht, dass die B\u00fcrger*innen vor Eingriffen des Staates sch\u00fctzt und einen Kommunikationsraum etabliert, in dem demokratische Argumente ohne Gewalt ausgetauscht werden sollen\u201c, dann vergessen sie dabei einen entscheidenden Punkt. Meinungsfreiheit ist in einem Staat erst dann gegeben, wenn dieser seine B\u00fcrger_innen notfalls auch mit Gewalt davor sch\u00fctzt, dass ihre freie Meinungs\u00e4u\u00dferung ma\u00dfgeblich eingeschr\u00e4nkt oder unterbunden wird. Andernfalls lie\u00dfe sich nur schwer begr\u00fcnden, warum beispielsweise der russische Staat daf\u00fcr zu kritisieren sei, dass er offen zugibt, Zeitungsredaktionen nicht vor Anschl\u00e4gen und \u00dcbergriffen durch politische oder mafi\u00f6se Strukturen zu sch\u00fctzen.<\/p>\n

Auch wenn wir denken, dass die benannten Argumente in Bezug auf die Meinungsfreiheit nicht funktionieren, k\u00f6nnen wir den Antrieb der Autor_innen verstehen. Es geht um die Harmonisierung von zwei einander widersprechenden normativ-politischen Prinzipien: 1. Meinungsfreiheit, 2. einer \u00f6ffentlichen Debatte ohne Diskriminierung, Hetze und der Forderung nach Ausgrenzung. Wir k\u00f6nnen verstehen, dass es den Autor_innen (und vielen anderen Genoss_innen) wichtig ist, diese Prinzipien im Hier und Jetzt miteinander zu harmonisieren. Allerdings w\u00fcrde dies zu Lasten einer realistischen Theorie der Meinungsfreiheit gehen \u2013 und diesen Anspruch teilen wir ja vermutlich mit den AIB-Autor_innen und den meisten unserer Genoss_innen: Eine logisch widerspruchsfreie Theorie der Realit\u00e4t, die die Verh\u00e4ltnisse verst\u00e4ndlich macht, anstatt sie zu verkl\u00e4ren.<\/p>\n

Wenn wir diesen normativ-politischen Widerspruch auf der Ebene einer realistischen Theorie der Meinungsfreiheit nicht aufl\u00f6sen k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir auf andere Ebenen gehen. Und zwar auf die unserer politischen Zielstellung: wir stehen f\u00fcr Kommunismus ein. Damit ist eine Bewegung gemeint, die darauf hinstrebt alle menschlichen Verh\u00e4ltnisse der gesellschaftlichen Debatte und Planung zu unterwerfen. In der die Produktion, die Reproduktion, die Verwaltung und die Sicherheit radikal selbst organisiert und von der Basis kontrolliert sind. Also eine Gesellschaft ohne Kapitalverh\u00e4ltnis und auch ohne Nationalstaat. Mit anderen Worten: Wir wollen Konservativen, Rechtspopulist_innen, Nazis, Faschist_innen und wie sie alle hei\u00dfen ihre Gesch\u00e4ftsgrundlage entziehen. In dem Moment, wo rechte Ideologie keine Entstehungsgrundlage mehr hat, werden auch die politisch-normativen Ziele Meinungsfreiheit und diskriminierungsfreie \u00f6ffentliche Debatte miteinander harmonisiert.<\/p>\n

Da dieser gesellschaftliche Zustand nicht im Ansatz realisiert ist, folgt aus dieser Feststellung ein Blick auf die Ebene der Strategie. Rechte haben das Ziel die M\u00f6glichkeit sozialer Befreiung und Selbstbestimmung im Keim zu ersticken. Wenn sie Meinungsfreiheit bekommen, werden sie diese f\u00fcr den Versuch nutzen, ein Regime zu errichten, in dem keine freie Debatte, keine Rationalit\u00e4t und keine allgemeine Teilhabe mehr m\u00f6glich sein wird. Moralisch und mit Hinblick auf unsere politischen Zielstellungen w\u00e4re das derma\u00dfen desastr\u00f6s, dass jegliche rechte Macht\u00fcbernahme bereits in den Ans\u00e4tzen mit allen Mitteln verhindert werden muss. F\u00fcr uns folgt daraus also, dass wir mit unserem normativ-politischen Bekenntnis zur Meinungsfreiheit aus strategischen Gr\u00fcnden vorl\u00e4ufig und in einem bestimmten Punkt (rechte, sexistische Ideologie) brechen m\u00fcssen.<\/p>\n

Da wir keinen Staat wollen, der anf\u00e4ngt Meinungs\u00e4u\u00dferungen auf Zul\u00e4ssigkeit zu pr\u00fcfen und da wir nicht erst sein dem Indymedia-Linksunten-Verbot wissen, dass sich staatliche Zensur jederzeit auch gegen uns richten kann, fordern wir in keinem Fall, dass der Staat diesen Bruch mit der Meinungsfreiheit vollzieht. Wir schlagen vor: Wir verhindern rechte Kundgebungen, Demos und St\u00e4nde \u2013 aber sind uns dabei im Klaren, dass wir dabei vorl\u00e4ufig mit unseren eigenen politsch-normativen Standpunkten brechen. Die Intervention gegen die St\u00e4nde rechter Verlage auf der Buchmesse begreifen wir folglich auch nicht wie Blum, Pichl und Uhlig als \u201eBestandteil der Meinungs\u00e4u\u00dferung und [\u2026] Kampf um politische Deutungshoheiten\u201c. Nein, im besten Fall machen Antifaschist_innen den Rechten praktisch klar, dass sie in Zukunft besser auf ihre Meinungs\u00e4u\u00dferungen verzichten.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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